Bevor wir selbst zur Kamera greifen, haben wir unzählige Filme gesehen – manche nur ein einziges Mal, andere so oft, dass wir sie beinahe mitsprechen können. Doch unabhängig davon, wie häufig wir einen Film sehen oder wie sehr er uns gefällt: Jeder Film hinterlässt einen Abdruck. Diese Erfahrungen formen unser filmisches Gedächtnis, unsere ästhetische Intuition und unser Wissen. Für Filmschaffende sind diese Eindrücke eine wertvolle Quelle: Sie helfen dabei, die eigene Vision zu entwickeln – durch Inspiration ebenso wie durch bewusste Abgrenzung. Filme bewusst zu schauen, schult das Erkennen bestimmter Stile, das Verständnis für die Erzeugung von Atmosphären und die Vielfalt möglicher Erzählformen. Dafür allerdings muss man genau hinsehen – und den Film analytisch auseinandernehmen.
Film sehen als Handwerk
Darüber sprechen wir in dieser Folge mit Michael Baute. Er ist freiberuflicher Dozent und Filmkurator und unterrichtet seit über zehn Jahren an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). In seinen Seminaren „Wie Filme sehen?“ und „Bild für Bild“ begleitet er Studierende auf eine intensive Reise durch die Formen filmischer Erzählung – jenseits klassischer Theorie, nah an der Praxis und immer im Dialog.
Für Baute ist das genaue Hinsehen der Schlüssel: Erst wenn man einen Film in seine Einzelteile zerlegt – Einstellungen, Bewegungen, Rhythmus, Atmosphäre – versteht man die Entscheidungen hinter dem sichtbaren Bild. Erst dann wird die gestalterische Kraft eines Films wirklich greifbar. In seinen Seminaren wählen die Teilnehmer*innen jeweils einen Film aus, der mit ihrer eigenen filmischen Praxis verbunden ist. Dieser wird gemeinsam angesehen und intensiv diskutiert, sodass nicht nur das Werk durchdrungen wird, sondern auch Inspiration für das eigene Schaffen geschöpft wird.

Sehen lernen: Von der Oberfläche zur Struktur
Baute beobachtet die Filmkultur seit über 30 Jahren. Er stellt fest, dass sich das Reden über Filme immer weiter spezialisiert hat. Umso wichtiger sei es, Räume zu schaffen, in denen verschiedene Blickwinkel produktiv nebeneinander bestehen können – wie an der DFFB, wo die Studierenden vielfältige Erfahrungen und Perspektiven mitbringen, mit denen sie auf die Filme schauen. In seinem Seminar „Bild für Bild“ steht ein Film zwei Wochen lang im Fokus. Einstellung für Einstellung wird er betrachtet und analysiert. Dabei wird die Arbeit, die hinter einem Film steckt, deutlich sichtbar. So entsteht eine Konzentration auf filmische Gestaltung. Die Fragestellungen und Themen ergeben sich dabei organisch aus dem Gespräch mit den Studierenden – sie setzen die Schwerpunkte und teilen ihre vielfältigen Blicke auf das Werk. Als Dozent sieht sich Baute in der Rolle des aufmerksamen Zuhörers, der Rückfragen stellt, um Denkprozesse weiter anzustoßen.
Inspiration ist kein Plagiat
Je mehr Filme man sieht und je weiter man in die Geschichte des Films zurückblickt, desto klarer wird: Vieles, was heute erzählt wird, wurde bereits unzählige Male auf unterschiedlicher Art und Weis erzählt. Kunst – und damit nicht nur Film – ist im Grunde ein fortlaufender Remix dessen, was zuvor geschaffen wurde. Filmschaffende müssen also nicht das Rad neu erfinden. Baute ist überzeugt: Selbst wenn man etwas nachstellen wollte, käme nie ein echtes Plagiat heraus – denn jede Reproduktion unterscheidet sich schon durch andere Schauspieler*innen, einen neuen zeitlichen Kontext oder veränderte technische Mittel.
Gleichwohl müsse man sein Auge schulen, um Trends zu erkennen – etwa die heute weit verbreiteten Schärfenverlagerungen, die durch neue technische Möglichkeiten populär geworden sind. Filmschaffende sollten ihren eigenen Weg finden und sich dabei stets bewusst für eine bestimmte Bildsprache und Darstellungsweise entscheiden. Schließlich ist eine der größten Herausforderungen beim Erschaffen eines Films nicht nur, eine Vision zu entwickeln, sondern diese konsequent durch den gesamten Film hindurch umzusetzen. Schließlich kann erst durch die Beherrschung des Handwerks eine eigene Handschrift entwickelt werden.
DFFB – Deutsche Film und Fernsehakademie Berlin
Die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) ist seit 1966 die Filmschule des Landes Berlin. Sie fokussiert sich in der Ausbildung auf die grundlegenden Bereiche des Filmemachens: Drehbuch, Bildgestaltung, Regie, Produktion sowie Montage Bild & Ton. Mehr Informationen zu unserem Partner dieser Kooperationsfolge findet ihr auf der Webseite der dffb
Die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) ist seit 1966 die Filmschule des Landes Berlin. Sie fokussiert sich in der Ausbildung auf die grundlegenden Bereiche des Filmemachens: Drehbuch, Bildgestaltung, Regie, Produktion sowie Montage Bild & Ton. Mehr Informationen zu unserem Partner dieser Kooperationsfolge findet ihr auf der Webseite der dffb – LINK
Gäste
Michael Baute | Autor und Dozent
Michael Baute ist Autor, Dozent und Medienarbeiter aus Berlin. Seit 2010 hält er Lehrveranstaltungen und Workshops an Universitäten und Filmhochschulen, seit 2016 Dozent für Filmgeschichte an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.
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