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1:25 STUNDEN
13. Juli 2023

Cinæsthesie: Translating Animation

Mit dem Projekt Cinæsthesie. Translating Animation startet die Regisseurin Anne Isensee (Animationsregisseurin & Animatorin) ein crossmediales Experiment. Das Kernstück des künstlerischen Forschungsprojekts bildet der Animationskurzfilm INTRO. Das Besondere hierbei ist die Integration der Audiodeskription und der erweiterten Untertitel. Hier wurde beides nicht nachträglich eingefügt, sondern ist Teil des Storytellings und wurde von Anfang an mitgedacht. 

Filmstill aus dem Animationskurzfilm INTRO von Anne Isensee © Anne Isensee

Audiodeskription: Eingeplant von Anfang an?

Mit akustischen Bildbeschreibungen, den sogenannten Audiodeskriptionen, können blinde und sehbehinderte Menschen Filme genauso genießen wie das sehende Publikum. An dem komplexen Entstehungsprozess der Audiodeskriptionen sollte unbedingt immer eine geschulte blinde Person beteiligt sein.

Barbara Fickert – Geschäftsführerin Kinoblindgänger
Barbara Fickert sitzt zusammen mit einer zweiten Person in einem Tonstudio und produziert eine Audiodeskription.
Barbara Fickert im Studio für die nächste Audiodeskription © Andi Weiland

Eine Audiodeskription oder auch kurz AD, ermöglicht für blindes oder sehbehindertes Publikum den Zugang zum  cineastischen Filmgenuss. Die audiovisuelle Materie wird in eine akustische Bildbeschreibung übersetzt. Begleitend zum Kurzfilm, bietet das Projekt Cinæsthesie. Translating Animation, ein Audioprogramm, welches Einblicke in die Produktionsprozesse eröffnet, das Team vorstellt und rund um die Themen Audiodeskription, barrierefreie Animationsfilmproduktionen und cinæsthetische Übersetzungsarbeit informiert.

Doch nicht für jeden Film gibt es automatisch eine Audiodeskription, leider. Egal, ob es sich dabei um Dokumentarfilme handelt, Arthousefilme oder Filme von großen Studios. Ob es überhaupt eine barrierefreie Fassung gibt, hängt von der Produktion selbst ab: Wollen und können sie eine Audiodeskription oder erweiterte Untertitel in Auftrag geben?

Normalerweise werden, wenn überhaupt, barrierefreie Fassungen im Nachhinein angefertigt. Bei einer Audiodeskription kann beispielsweise im Dreierteam gearbeitet werden. Hierbei schreibt eine sehende Person die Filmbeschreibung und überarbeitet diese gemeinsam mit einer blinden Person. Zuletzt gleicht eine dritte Person den Text mit dem Film ab. Klar, das kostet Geld und braucht Zeit und Expert*innen, die geschult sind, gute Audiodeskriptionen zu verfassen. Zum Glück gibt es Menschen wie Barbara Fickert (Geschäftsführerin Kinoblindgänger) und Jonas Hauer (Komponist & Filmbeschreiber), die sich beide um solche akustische Bildbeschreibungen kümmern.

Wortfindung: Passgenau formuliert!

Das richtige Wort finden, um die filmische Situation bei einer AD bestmöglich zu beschreiben? Gar nicht so einfach, sagen Jonas und Barbara. Denn so kann die Frage, ob das Kind im Film ein Weizenbrötchen isst oder gar ein Stück Hefezopf, vielleicht einen wichtigen Hinweis für den weiteren Verlauf des Films beinhalten oder obsolet sein. Oder vielleicht wird ein typischer Hint wie “Laura greift nach der Tasche, in der sie vorhin den Revolver versteckt hat” das filmische Erlebnis spoilern. Demnach ist für die richtige Wortfindung Feingefühl angesagt und ein gutes sich Abstimmen im Team. Dass die Realisierung einer AD nicht nur das richtige Budget und eine gute Planungszeit braucht, sondern auch seinen Weg zum Publikum finden muss, ist den Meisten gar nicht so klar.

Mehr Aufmerksamkeit: Ein YouTube-Button für AD’s? 

Audiodeskription muss präsenter werden und besser auffindbar. Wie wäre es mit einem Button für AD’s bei YouTube neben dem Button für Untertitel?

Jonas Hauer – Filmbeschreiber
Eine Person im Kino hält die GRETA-App in der Hand.
Barbara Fickert, die GRETA-App stets bereit in der Hand © Andi Weiland

Seit über 10 Jahren gibt es die GRETA-App, die es Menschen ermöglicht, barrierefrei Kino zu genießen. Doch im Heimkino, beim bingewatchen, egal ob im linearen Fernsehen, Streamingdiensten oder YouTube, bleibt der Genuss meist verwehrt. Es fehlt an AD’s. Es fehlt an Aufmerksamkeit und der Sensibilisierung der Gesellschaft, dass es zum einen barrierefreie Zugänge braucht und dass diese, sofern vorhanden, besser aufzufinden sein müssen. Ein YouTube-Button für AD’s neben dem Button für Untertitel wäre doch spannend. Vielleicht klicken Menschen aus Interesse darauf und erkennen “Diese Funktion ist in deinem Land leider noch nicht verfügbar. Möchtest du eine AD anfordern?”. Selbst wenn diese Option erst einmal nur vorhanden wäre, um Aufmerksamkeit zu generieren, so würde ein Großteil der Gesellschaft ganz unverhofft mit dem Thema der Barrierefreiheit in Berührung kommen! Was für eine smarte Idee Jonas! 

Wie eine Audiodeskription entsteht, diesem Thema möchten wir uns in der aktuellen Folge widmen. Wir sprechen mit Anne Isensee (Animationsregisseurin & Animatorin), Barbara Fickert (Geschäftsführerin Kinoblindgänger) und Jonas Hauer (Komponist & Filmbeschreiber) über das künstlerische Forschungsprojekt Cinæsthesie. Translating Animation und ihre Arbeit an Audiodeskriptionen.

Wir gratulieren Barbar und Jonas nachträglich zur Auszeichnung des Deutschen Hörfilmpreises 2023. Als Teil des Audiodeskriptions-Teams unterstütze Jonas die Filmproduktion IM WESTEN NICHTS NEUES. Barbara sahnte als Teammitglied in der Kategorie Filmerbe bei Béla Tarrs Schwarzweiß-Klassiker DIE WERCKMEISTERSCHEN HARMONIEN ab. Herzlichen Glückwunsch!

Unsere Gäste

Anne Isensee
Animationsregisseurin & Animatorin
Webseite – https://www.anneisensee.com/

Barbara Fickert
Geschäftsführerin Kinoblindgänger
Blog “Blindgängerin” – https://www.blindgaengerin.com/
Webseite “Kinoblindgänger” (Audiodeskription) – https://www.kinoblindgaenger.com/

Jonas Hauer
Komponist & Filmbeschreiber
Webseite – http://jonas-hauer.de/

Weiterführende Links
Cinæsthesie. Translating Animation (Webseite) – https://www.translating-animation.com/
Greta App – https://www.gretaundstarks.de/greta/greta

Ähnliche Folgen
#08 Pressekonferenz | Vielfalt im Film

Podcast
1:28 STUNDEN
20. April 2023

Die immer wieder gleichen Geschichten

Egal ob im Theater oder im Film, viel zu häufig werden die immer gleichen alten Geschichten und Stereotypen aufs Neue erzählt. Immer wieder werden alte patriarchale Strukturen durch die immer gleichen Erzählweisen manifestiert und die alten Helden leben hoch. Jedoch sind Geschichten nicht nur ein netter Unterhaltungswert, sondern sie prägen unsere Gesellschaft. Die Form des Geschichtenerzählens ist die einfachste und gleichzeitig komplexeste Form, Bilder und Stereotypen im Mindset unseres gesellschaftlichen Kollektivs zu verankern. Wie brechen wir diese Strukturen und alten Erzählmuster auf? Wie lösen wir uns von den alten Erzählungen und geben mehr Raum für die Neuen? Der Film LADYBITCH widmet sich genau dieser Herausforderung und revolutioniert mit seiner Protagonisten Ela die Bretter, die die Welt bedeuten. Doch nicht nur auf der Leinwand bricht der Film patriarchale Strukturen auf, sondern auch innerhalb der Produktion hinter der Kamera achtet das Regie-Duo Paula Knüpling und Marina Prados auf einen verantwortungsvollen und wertschätzenden Umgang mit ihrem Team.

Machtposition vs. Verantwortungsposition

„Regisseur*in zu sein ist eine Verantwortungsposition. Ich habe nicht die Macht, sondern ich habe die Verantwortung für mein Team. Es ist eher ein Auftrag als ein Privileg.“

Paula Knüpling

Das Regie-Duo Marina Prados und Paula Knüpling sind seit dem letzten Jahr mit ihrem durchschlägigen Spielfilmdebüt LADYBITCH unterwegs. Gemeinsam haben sie an dem Drehbuch geschrieben, ihre eigenen Erfahrungen verarbeitet und während der Pandemie mit einem kleinen Team ihr Filmprojekt erfolgreich realisiert.

Doch was braucht es, um sensible Szenen, in denen Grenzüberschreitungen reinszeniert werden, umsetzen zu können, ohne dass es zu inneren Schäden kommt? Marina und Paula haben darauf eine klare Antwort, denn für sie bedeutet die Position der Regisseurin nicht Macht auszuüben, sondern Verantwortung zu übernehmen und auch abzugeben, um gemeinsam als Filmteam agieren zu können:

„Mentale Gesundheit am Set ist zentral und daher ist es wichtig, sich zu entspannen, es locker zu nehmen – sich und das Projekt nicht über alles zu stellen.“

Marina Prados

Die beiden sind sich einig: Das Filmprojekt sollte nicht über allem stehen, das Wichtigste sind die Menschen, mit denen im Team gearbeitet wird und diese wurden trotz kleines Produktionsbudget für ihre Arbeit bezahlt. Dafür schraubte das Regie-Duo ihre technischen und ästhetischen Ansprüche zurück. Eine vorbildliche Handlung, um prekäre Situationen in unserer Filmbranche aufzubrechen.

Kurze Verschnaufpause – Filmstill aus Ladybitch © Ladybitches Productions

Themis veröffentlicht Ratgeber

Was kann die Filmbranche auch im Kleinen tun, um Grenzüberschreitungen zu erkennen, nötige Hilfestellungen zu geben oder eben präventiv entgegenzuwirken? Marina und Paula suchen immer wieder das Gespräch zu ihrem Team. Reflektieren ihre eigenen Grenzen und halten Absprachen wie bspw. die Einhaltung der regulären Drehzeiten, ein. Doch was kann der/die Einzelne tun, wenn er oder sie Grenzüberschreitungen erlebt oder beobachtet? Hierfür veröffentlicht die Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung in der Kulturbranche erstmals eine Broschüre, in der mögliche Situationen skizziert werden und mögliche Handlungsoptionen formuliert werden. Neben einem psychologischen Notfallkoffer für Zeug*innen gibt es zu jedem Kapitel Reflexionsfragen, sodass eine aktive Einbindung der Leserschaft evoziert wird.

Foto: Paula Knüpling & Marina Prados © Katja Feldmeier

Ladybitches Productions

In unserer aktuellen Folge sprechen die beiden Regisseurinnen mit uns über ihre Arbeit zu LADYBITCH. Wir sprechen über die aktuelle Handreichung der Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung in der Kulturbranche und stärken wichtige Learnings zum sensiblen und wertschätzenden Umgang miteinander. Seit dem 09. März 2023 läuft LADYBITCH in ausgewählten Kinos.

Paula Knüpling
Regisseurin
Webseite – LINK
Crew United – LINK

Marina Prados
Regisseurin
Webseite – LINK
Crew United – LINK

Weiterführende Quellen

Ladybitch (Trailer) – LINK

Lara – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen* (Webseite) – LINK

Mental Healt First Aid – Ersthelfer*in werden! In dem Zentralinstitut erfährst du, wie du Erste Hilfe für psychische Gesundheit leisten kannst. Schau dich mal auf der Webseite um:

MHFA-Ersthelfer Kurse für psychische Gesundheit (Webseite) – LINK

MHFA-Erstehelfer (Kursübersicht) – LINK

Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt (Webseite) – LINK

Solidarische Kreativität – Unterstützung bei Grenzüberschreitungen und Belästigung in der Kulturbranche (Broschüre) – LINK

Ähnliche Folgen
#137 | Publikum von morgen: Kino für die junge Generation
#114 | THE CASE YOU: Film.Macht.Strukturen
#10 THE CASE YOU | Panel Diskussion

Kollektiv, Ko-Prozesse, Kollaboration, Kooperation, Ko-Kreation

Arbeiten im Team – Zusammenarbeit kennt viele unterschiedliche Formen und Bezeichnungen. Neben der wohl bekanntest Art, der Kooperation, gibt es verschiedenen Möglichkeiten, die eigenen Fähigkeiten mit anderen zu verbinden, um gemeinsam ein Projekt zu realisieren. Schnell kommt die Frage auf: „Ist die Arbeit beim Film nicht per se eine Teamarbeit? Also eine Arbeit, die in kleinen Kollektiven, in den verschiedenen Gewerken oder Departments stattfindet?“ Jein. Es kommt eben ganz darauf an, wie die Teamarbeit vonstattengeht. Sind alle gleichermaßen am Prozess beteiligt? Gibt es flache Hierarchien? Gibt es eine*n Entscheidungsträger*in? Eine autoritäre Kraft? Gibt es einen Auftrag, dem es zu folgen gilt? Dies setzt nicht außer Kraft, dass es keine konventionelle Arbeitsverteilung geben darf und jede*r alles machen soll. Viel mehr geht es darum, die Stärken der Einzelnen sichtbar zumachen und bestmöglich im Projekt einzusetzen. Dies geht nur mit guter Kommunikation und einer großen Portion Wertschätzung.

Open Mind Set: Die innere Haltung zählt

Es gibt unterschiedlichen Formen des kollaborativen Arbeitens. Schon ein Team aus zwei Personen kann per Definition ein Kollektiv sein. Wichtig ist, wie sie miteinander arbeiten. Wie wird die Führung gehandhabt? Wie wird miteinander kommuniziert? Es ist stets eine große Herausforderung, ob im kleinen oder großen Team multiperspektivisch zu arbeiten, die verschiedene Ideen, Gedanken, Stimmen und Meinungen zusammenzuführen. Wie können Arbeitsprozesse wie der Filmschnitt oder die Regieführung im Duo neu strukturiert werden? Was braucht es, um gemeinsam als Doppelspitze oder im größeren Team, wie beispielsweise in einem Writersroom, kollektiv zu arbeiten? In erster Linie Zeit und die Muße der Person gegenüber zu vertrauen.

Egal ob vor oder hinter der Kamera, Teamwork bereichert die Qualität der Arbeit.
Teamarbeit vor und hinter der Kamera – Ein Vorteil für alle!

Multiperspektivische Team: Vielschichtig und Krisensicher

Doch das Ergebnis lohnt sich. Gerade bei der Entwicklung der Drehbücher kann sich ein gut eingespielter Writersroom positiv auf die Entwicklung vielfältiger Figuren und einem clever gespickten Storytelling wirken. Auch bei der Umsetzung am Set kann ein fest verknüpftes Regisseur*innen-Duo Herausforderungen gemeinsam besser angehen und der Druck der Entscheidungen lastet somit nicht auf einzelnen Schultern. Diese Form der Entscheidungsverteilung bringt Ruhe und Sicherheit in die einzelnen Departments.

Zudem sind nachweislich diverse Teams krisensicherer. Durch die verschiedenen Erfahrungswerte können bestehende Lücken eher abgedeckt werden. Natürlich benötig der Aufbau Zeit und vor allem gute Kommunikationsstrukturen und Strategien, um dialogisch im Team arbeiten zu können. Aber auf lange Sicht gesehen lohnt sich die Mühe. Für die jeweiligen Teams und die Filme, die dabei entstehen.

Trends im Indiefilmtalk-Kosmos

In einem Team auf Augenhöhe zusammen zu arbeiten ist gerade im Filmbereich noch keine Selbstverständlichkeit, aber ein Trend, den wir schon bei vielen Projekten beobachten durften. In den letzten Jahren sind uns immer wieder besondere Formen der Zusammenarbeit begegnet. Daher nutzen wir die Chancen und platzieren in der heutigen Folge kleine Ausschnitte von Filmschaffenden, die in ganz unterschiedlichen Arten über ihre ganz individuelle Zusammenarbeit sprechen. Spoiler: Doppelspitzen in Regie, Drehbuch oder auch im Filmschnitt sind vielleicht ein neuer Trend, um Verantwortung für Projekte gemeinsam zu übernehmen. Oder was meint ihr? Welche Formen der kollektiven Arbeit sind euch im Filmbereich schon begegnet?

Ihr kennt noch weitere Formen der Zusammenarbeit in Departments die hier noch nicht genannt wurden? Meldet euch bei uns: comment@indiefilmtalk.de

Foto: v.l.n.r.: Track 15, Filmstill aus DRUCK, Anne Jünemann und Carlotta Kittel, Filmstill aus LOVECUT.
Foto: v.l.n.r.: Track 15, Filmstill aus DRUCK, Anne Jünemann und Carlotta Kittel, Filmstill aus LOVECUT.

Über folgende Episode haben wir gesprochen:

#09 Livetalk MSD | DRUCK: Crossmediales Storytelling
#81 | Filmmusik: Arbeit im Kollektiv und der Weg zur guten Filmmusik
#92 | Filmeditor*innen: Montieren im Team
#101 | LOVECUT: Ein starkes Duo

Mediathek-Tipp

unicato – Das Kurzfilmmagazin „Kollektive Kreativität“

„Wir“ Menschen leben zusammen, arbeiten zusammen, feiern zusammen, Schauen Filme zusammen. Auch hinter der Kamera entstehen diese Filme zusammen. Doch was ist es, das uns zusammenhält?

unicato beleuchtet im November die Zusammenarbeit im Kurzfilm. Ob als Team, Allianz oder eben Künstlerkollektiv.

Moderator Markus Kavka spricht mit:
Theaterwissenschaftlerin und Moderatorin des Indiefilmtalk Podcast Susanne Braun, den Filmschaffenden der Gruppe Auge Altona aus Hamburg, dem Kollektiv werkgruppe2 undden Animationskünstler:innen von Studio Torp.

Zu sehen ist „Kollektive Kreativität“ online in der ARD Mediathek und am 9./10. November, 0:25 Uhr im MDR Fernsehen.

Panels & Talks
39 Minuten
10. Juni 2021

2020 hat sich ein breites Bündnis von zivilgesellschaftlichen, privaten und öffentlichen Organisationen zusammengetan, um die Initiative „Vielfalt im Film“ (ViF) ins Leben zu rufen. Im Zentrum steht die Umfrage, welche im Zeitraum vom 18. Juli bis zum 02. November 2020, mit folgenden Leitfragen, erhoben wurde:

  1. Wie divers ist die deutschsprachige Film- und Fernsehbranche vor und hinter der Kamera?
  2. Wie ist die Arbeitssituation von Filmschaffenden?
  3. Welche Ausschlüsse und Diskriminierungserfahrungen werden erlebt?
  4. Welche Maßnahmen können die Filmbranche gerechter gestalten?

Über 30.000 Filmschaffende hatten die Möglichkeit an dieser Umfrage teilzunehmen.

Wir stellen euch die Pressekonferenz zum Nachhören zur Verfügung. In Kooperation und mit freundlicher Genehmigung von Citizens for Europe.

Weiterführende Links:

Vielfalt im Film (Webseite) – LINK
Vielfalt im Film (Ergebnisse) – LINK

Ähnliche Folgen:

#102 | Vielfalt im Film: Zahlen stärken Diversität
#91 | Vielfalt im Film: New Queer Cinema
#89 | Vielfalt im Film: Filmförderung im Fokus
#84 | 2 – Vielfalt und Gleichberechtigung in der Filmszene
#84 | 1 – Vielfalt und Gleichberechtigung in der Filmszene
#62 | Diversität im Film: Eine Podcast Sonderfolge
#61 | Diversität im Film: Noch immer ein Mythos?
Was ist eigentlich New Queer German Cinema? 
Diversität in Film und Medien

Es ist soweit. Die Ergebnisse der Vielfalt im Film – Umfrage liegen vor LINK. Die bedenklichen Zahlen zeigen, wie es um die Themen Vielfalt und Diskriminierung in der Filmbranche steht. Aber was bedeutet das für die Filmszene konkret und welche Maßnahmen ergeben sich daraus?

„Vielfalt im Film“ Sonderfolge

Vielfalt im Film Live Graphic Recording von Annikalelarge
Live Graphic Recording vom 05.05.2021 ©Annikalelarge

Dies ist eine Sonderfolge des Indiefilmtalk Podcasts, im Rahmen der „Vielfalt im Film – Studie“, welche am 05.05.2021 live über Clubhous und Zoom aufgezeichnet wurde. In unserem Gespräch haben wir mit Mitglieder*innen der „Vielfalt im Film“ initiative über die Bedeutung der Zahlen aus der Studie gesprochen. Bei der Umfrage haben über 6000 Filmschaffende teilgenommen. Wir reden über die Wirkung der Studie auf die Filmbranche darüber, wie vielfältige Geschichten den Film und uns Filmschaffende bereichern können. Zusätzlich reden wir über die Möglichkeiten, die eine solche Studie in Gesprächen mit Institutionen, bieten kann.

Neben den Gebärdendolmetscherinnen wurde das Gespräch von einer Graphic Recordistin visuell begleitet (siehe oben). Ein großer Dank geht an die Mitglieder*innen der „Vielfalt im Film“ Initiative für die Unterstützung bei dem Event. Win großes Dankeschön auch an Annika Lelarge für das Graphic Recording und an Sabrina Klieber und Svea Loy für das Gebärdendolmetschen.

Mehr zu unseren Podiumsgästen

Deniz Yildirim – Citizens for Europe
Head of research
Citizens for Europe Webseite – LINK

Dieu Hao Do – Berlin Asian Filmnetwork
Regisseur
Webseite BAFNET – LINK

Kai S. Pieck – Queer Media Society
Regisseur, Autor
Webseite Queer Media Society – LINK

Tyron Ricketts – Panthertainment
Produzent
Webseite Panthertainment – LINK

Barbara Fickert – Kinoblindgänger
Geschäftsführerin
Webseite – LINK

Weiterführende Links

  • Vielfalt im Film Umfrageergebnisse – LINK
  • Weitere Folgen zu dem Thema „Vielfalt im Film“ – LINK
  • Beitrag zum Thema „New Queer Cinema“ – LINK

Podcast Episoden Transkription

Transkription der Indiefilmtalkfolge #102 Vielfalt im Film: Zahlen stärken Diversität

DOWNLOAD-LINK

Yugen Yah [00:00:00] Hey und willkommen beim Indiefilmtalk Podcast, dem Podcast, wo es um die täglichen Freuden und den immer wärenden Kampf von uns Filmschaffenden geht. Viel Spaß…

Yugen Yah [00:00:24] Diese Folge des Indiefilmtalk Podcasts ist im Rahmen der „Vielfalt im Film“ Studie, welche am 05.05.2021 live über Clubhous und Zoom aufgezeichnet wurde. In unserem Gespräch haben wir mit Mitgliedern der Vielfalt im Film Initiative über die Bedeutung der Zahlen aus der Studie für die Filmszene gesprochen. Wir reden über die Wirkung der Studie auf die Filmbranche, darüber, wie diverse Geschichten den Film und uns Filmschaffende bereichern können und über die Möglichkeiten, die eine solche Studie in Gesprächen mit Institutionen bieten kann. Neben der Begleitung des Gespräches durch Geberdendolmetscherinnen wurde das Gespräch von einer Graphic Recordistin visuell begleitet. Die Grafik aus dem Gespräch findet ihr auf unserer Seite oder auf Anfrage über comment@indiefilmtalk.de. Bevor es nun also losgeht mit dem Gespräch, wollen wir uns noch einmal für die Unterstützung von den Mitgliedern der „Vielfalt im Film“ Initiative bedanken. Und natürlich bei allen, die auch live dabei waren und live kommentiert haben und wünschen allen anderen nun viel Spaß mit dem Gespräch. Erst mal schön, dass ihr so zahlreich erschienen seid und uns heute bei unserem Gespräch zum Thema Vielfalt im Film begleitet. Es freut uns auf jeden Fall schon mal sehr und mein Name ist Yugen und ich bin hier mit meiner Kollegin Susanne Braun und wir sind vom Indiefilmtalk. Für die Leute, die uns noch nicht kennen. Beim Indiefilmtalk dreht sich alles um das Thema Filmschaffen. Neben unserem Podcastformaten, wo wir mit Kollegen und Kolleginnen über die Arbeit am Film und um den Film rumsprechen, machen wir zusätzlich im Beitragsformate, Sonderreihen, Veranstaltungen immer mit dem Fokus darauf, wie wir kollaborativ als Filmschaffende und als Filmszene wachsen können. So sehen wir natürlich das Thema Vielfalt im Film als einer der wichtigsten Säulen für unsere Arbeit und für eine florierende international standhafte deutschsprachige Filmszene an. Auf Basis der Umfrage vom Thema Vielfalt im Film wollen wir heute unser Gespräch führen und gemeinsam darüber nachdenken, welche Schritte für die Filmlandschaft und vielleicht sogar politisch daraus resultieren. Fühlen Sie sich also alle, die dabei sind, auch die Herrschaften, die im Zoom dabei sind, auch angesprochen, bei gegebenem Anlass auch sich zu äußern. Und bevor ich nun alle Gäste vorstelle, gebe ich erst einmal ab an Senior Data Scientist bei Citizens for Europe Deniz Yildirim für ihren kurzen Impulsvortrag über die Vielfalt im Film Studie.

Deniz Yildirim [00:02:52] Muss mal die Seite aktualisieren. Tatsächlich bin ich jetzt schon Head of research und ich würde gerne erst einmal anfangen, eine kleine Einordnung zu machen. Was ist eigentlich Vielfalt im Film und warum ist diese Studie so wichtig für die zukünftige Entwicklung der Filmbranche, sodass wir einmal ein paar Eckdaten haben. Warum ist das, was wir gemacht haben, so großartig? Dann haben wir die Ergebnisse und dann können wir vielleicht in die Diskussion einsteigen, was sich daraus für die Filmbranche ergibt. Genau. Also zunächst einmal diese kleine Einordnung. Die Studie Vielfalt im Film ist aus vielerlei Hinsicht ein totales Novum. Und ich habe mich jetzt mal so drei Aspekte konzentriert, die ich euch jetzt einmal vorstellen möchte. Das erste ist, es ist die einzige Studie, die deutschlandweit so entstanden ist, wie sie entstanden ist. Sie ist aus einem großen zivilgesellschaftlichen Bündnis von achtunddreißig Organisationen entstanden und ist von öffentlicher privater Seite unterstützt worden, von öffentlicher Seite bei beispielsweise die Antidiskriminierungsstelle des Bundes beteiligt. Von privater Seite hatten wir Unterstützung, beispielsweise von Netflix. Das zeigt aber jetzt auch nochmal, wie groß das Interesse daran ist, da einfach nochmal progressiv nach vorne zu gehen und auch nach MeToo und #Actout und dem Hashtag Kein Rassismus produzieren. Endlich diese Erfahrungen, die gemacht wurden und dort auch geteilt wurden, endlich ein quantitatives Gewicht zu verleihen. Weg von diesen subjektiven Erfahrungsberichten. Immer wieder zu sagen habe ich erlebt, ich wurde diskriminiert, ich wurde sexuell belästigt von diesen subjektiven Erzählungen und auch retraumatisierenden Erzählungen wegzukommen hin zu einem kritischen Blick zu den Strukturen, zu den ausschlüssen in der Filmbranche und sozusagen ein Perspektivenwechsel anzuregen und sich noch nochmal die Filmbranche als Struktur anzuschauen. Und ich würde sagen oder wir glauben, das haben wir auch wirklich geschafft. Also dies ist die erste umfassende Umfrage zu Vielfalt und Diskriminierung von Filmschaffenden vor und hinter der Kamera. Wir haben über 6000 Filmschaffende zu ihren Erfahrungen befragen können. Dies ist auch die erste Studie, diese systematisch aufzeigen kann, dass Diskriminierung im Arbeitskontext kein individuelles, sondern vor allem ein strukturelles Problem ist. Das ist, glaube ich auch mein meist zitierter Satz in den Medien gewesen. Aber es zeigt auch, wie wichtig es ist, dass einmal empirisch zeigen zu können und auch einmal aussprechen zu können, weil es in Deutschland noch nicht gelungen ist, das so darzustellen. Das ist auch eine Novum, weil wir das erste Mal im deutschsprachigen Raum neben einem Gender „Pay Gap“ auch ein Race „Pay Gap“ berechnen konnten und ein Disabillity „Pay Gap“. Das sind also Einkommensunterschiede, die sich auf diese drei Dimensionen. Gender Race Disabillity beziehen bedeutet also, dass es das erste Mal gelungen ist, differenzierte Einkommensunterschiede zu berechnen, und wir konnten zeigen, dass das Einkommen von benachteiligten Filmschaffen über alle Départements hinweg niedriger sind als von privilegierten Filmschaffenden. Bei Gender wäre es jetzt beispielsweise der Mann, der privilegiert ist und die Frau, die benachteiligt wär. Genau. Außer bei Schauspiel muss ich auch kurz einschieben, das Einkommen war schon so prekär, ich glaube die Einkommensunterschiede wären da gar nicht mehr möglich gewesen, da gab’s auf jeden Fall nicht große „Pay Gaps“. Das dritte ist, dass es ein totales Novum und das hat uns auch sehr überrascht. Normalerweise fragen uns Organisationen: „Wie vielfältig sind wir?“ Dann gehen wir in diese Organisation und sagen na ja, 90 Prozent weiß euch vielen sehr, sehr viele Vielfaltsdimensionen. Bei der ViF hatten wir das Novum, dass wir in die Daten geguckt haben und gesehen haben: „Da ist ja schon viel Vielfalt drin.“ Und wenn auch nicht für alle Gruppen, beispielsweise Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen sind super stark unterrepräsentiert. Die sind im einstelligen Prozentbereich. Aber für Fin*, also Frauen, inter nicht binäre, Trans* Menschen für LSBTIQ+ und BPOC rassistisch benachteiligte Menschen. Für diese drei Gruppen wie auch DDR und Ost sozialisierte Menschen konnten wir zeigen, dass sie in einem gewissen Ausmaß durchaus vertreten sind, bereits in der Filmbranche und bereits jetzt multiperspektivisch und Klischee frei Geschichten, über das wir erzählen könnten. Warum ist Diskriminierung ein strukturelles Problem? Und in welchen Zahlen können wir das belegen? Die Aussage? 

Deniz Yildirim [00:06:53] In unserer Umfrage haben knapp 3000 Filmschaffende Angaben zu den Diskriminierungserfahrungen in den letzten zwei Jahren im Arbeitskontext gemacht. Die Hälfte hat Diskriminierung erfahren. Jede zwanzigste Person hat sogar angegeben, oft bis fast immer Diskriminierung zu erfahren im Arbeitskontext. Da wurde am häufigsten das Geschlecht oder das Lebensalter und rassistische Zuschreibung als die drei häufigsten

Deniz Yildirim [00:07:15] Bezüge

Deniz Yildirim [00:07:16] von den Befragten genannt. Wir haben dann gefragt was war der Kontext der Diskriminierung? Wo findet Diskriminierung statt? Und für uns überraschend auch, dass ein Großtel der Diskrimierung nicht im eigentlichen Arbeitskontext stattfindet, wie beispielsweise wo man es erwarten würde am Set oder im Büro, sondern eigentlich davor oder danach. Also bevor die Arbeit anfängt oder nachdem die offizielle Arbeit aufgehört hat, wie beispielsweise bei Castings, bei einer Premierenfeier. Also eigentlich informelle Orte, die man nicht so im Blick hat. Gerade auch als Gesetzgebende Kraft. Deswegen war für uns super klar Antidiskriminierungsmaßnahmen müssen über diesen formellen Bereich noch viel stärker diese informellen Bereiche in den Blick nehmen, was

Deniz Yildirim [00:07:58] auch nochmal

Deniz Yildirim [00:07:59] sehr besonders war. Und auch besorgniserregend ist, dass 70 % der Betroffenen die Diskriminierung erfahren, diese Diskriminierung nicht erleben. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass in der Branche sehr viele Verträge befristet sind und dass man sich von einem Job zum nächsten hangelt. Und wenn man einmal den Ruf hat, dass man Whistleblower ist, dass man sich beschwert, dass man Diskriminierung meldet, auch nicht gerne gesehen und gebucht wird. Wenn wir uns von diesen allgemein, jede zweite Person erfährt Diskriminierung im Arbeitskreiskontext, nochmal spezifisch angucken, beispielsweise die *Ismen

Deniz Yildirim [00:08:31] wie sexuelle Belästigung,

Deniz Yildirim [00:08:33] sehen wir, dass acht von zehn, also achtzig Prozent der CIS-Frauen sexuelle Belästigung in den letzten zwei Jahren am Arbeitskontext erlebt

Deniz Yildirim [00:08:39] haben. Trotz Metoo.

Deniz Yildirim [00:08:42] Wir sehen, dass die LGBTI+ Feindlichkeit immer noch da ist, weil vierzig Prozent der Befragten Angaben, die der LGBTIQ Community angehören, dass sie Angst haben, nie oder nur manchmal offen mit ihrer Orientierung im Arbeitskontext umzugehen, weil sie bei 17% beispielsweise Angst davor hat, das die Erfahrung mit Diskriminierung in Nachteilen für sie endet. Bei rassistischer Diskriminierung konnten wir zeigen, dass der „PayGap“, also der Einkommensunterschied bei ihnen am größten ist. Dass die rassistische Diskriminierung als Diskreminierungsbezug im Arbeits Kontext sein nicht so häufig wie Geschlecht angegeben wurde, aber dass 20% der Menschen mit rassistischer Benachteiligung angegeben haben, dass sie sie oft bis fast immer erleben. Also eine so eine starke Diskriminierung, dass jede fünfte Person sagt: „Ich erleb sie eigentlich immer, wenn ich zur Arbeit gehe, werde ich rassistisch diskriminiert. Und ein letzter Befund vielleicht aus der Studie. Wir haben Filmschaffende gefragt, inwieweit sie der Aussage zustimmen, dass bestimmte Gruppen klischeehaft im Film und Fernsehen dargestellt werden. Und da gab’s eine Liste von Gruppen die wir benannt haben, beispielsweise schwarze Menschen, jüdische Menschen, Menschen mit Beeinträchtigungen, muslimischen Menschen. Und die häufigste Zustimmung haben wir gefunden, dass bei arabischen Menschen klischeehafte Darstellungen besonders stark ist. 87,5% haben gesagt, die werden klischeehaft dargestellt. Bei muslimische Menschen waren es immer noch 82,9% der Befragten, die dem stark zugestimmt haben. Womit ich eigentlich jetzt auch schon wieder an dem Punkt ende, wo ich angefangen habe. Wir haben gezeigt, Diskrimierung ist ein strukturelles Problem. Wir haben gezeigt, die Filmbranche ist in einem gewissen Ausmaß durchaus vielfältig und sie wäre jetzt eigentlich schon bereit, diese multiperspektivisch und klischeehaften Geschichten über das wir zu erzählen. Und gleichzeitig haben wir gezeigt, es gibt immer noch diese eindimensionale Darstellung, diese klischeehafte stereotype Darstellung. Und das ist super weit von der Realität entfernt. Auch das zeigen unsere Zahlen, weil wir haben

Deniz Yildirim [00:10:38] ein mehrfach

Deniz Yildirim [00:10:39] Zugehörigkeits-Index gebildet, der andeutet, dass alle Befragten eigentlich zwei bis drei Vielfaltsdimension bereits in sich

Deniz Yildirim [00:10:46] tragen. Das klingt jetzt so

Deniz Yildirim [00:10:48] abstrakt, aber eine Vielfaltsdimension wäre beispielsweise eine schwarze Frau, aus dem Osten hätte schon drei mehrfach Zugehörigkeiten als Frau, sie ist schwarz und kommt aus dem Osten. Also drei Zugehörigkeiten, die eigentlich benachteiligt werden. Wir konnten zeigen, dass rassistisch depriviligierte Menschen

Deniz Yildirim [00:11:04] acht

Deniz Yildirim [00:11:04] solcher Zugehörigkeiten in sich Verein, wenn wir uns das jetzt einmal bildlich vorstellen. Wäre das beispielsweise eine schwarze Frau, die im Osten geboren ist, lesbisch sein könnte, eine chronische Krankheit hätte, die sie beeinträchtigt und Gewichtsdiskriminierung erleidet, oder Gewichtsdiskrimierung erfährt und sozial finanziell schwach aufgestellt ist? Das heißt

Deniz Yildirim [00:11:25] also, in Vielfalt

Deniz Yildirim [00:11:26] ist enorm viel Vielfalt drin und sie wird einfach noch gar nicht genutzt. Wir haben ein strukturelles Problem mit Diskriminierung. Wir haben diese eindimensionale Darstellung der Gesellschaft und der Vielfalt, die eigentlich schon da ist und eigentlich auch eine andere an einem Platz bräuchte, um neue Geschichten zu erzählen. Hier mache ich meinen Punkt.

Yugen Yah [00:11:46] Vielen Dank Deniz, deswegen dann eröffnen wir damit doch gleich. Herzlich willkommen an unsere Gäste, die ich heute für den Start unseres Gespräches begrüßen darf, denn heute auf dem Podium sitzen: Regisseur, Autor und Initiator der Queer Media Society Kai S. Pieck, Regisseur und Gründer des Berlin Asian Film Network Dieu Hao Do, Filmproduzent Tyron Rickets und Geschäftsführerin Barbara Fickert von Kino Blindgängern. Ich muss natürlich auch dazu erwähnen, dass auch die Chun Mai Tan auch angegeben war und sie wäre auch gerne gekommen, leider dreht sie noch. Das heißt, sie versucht noch dazu zu kommen, soweit sie fertig ist und tut ihr bestes um auch noch ihren Punkt mit hinzufügen zu können. An dieser Stelle auch nochmal zusätzlich möchte ich noch einmal betonen, dass unsere Gäste nur ein Teil der Vielfalt im Film Initiative sind. Also wie Denniz gerade schon gesagt hat, waren 38 diverse Institutionen mit beteiligt und noch viele weitere Unterstützer. Natürlich mehr dazu finden Sie alle auf der Seite www.vielfaltimfilm.de, da können natürlich alle nach dem Gespräch reinschauen, dann eröffne ich gleich mal das Gespräch mit meiner ersten Frage und die würde ich Kai stellen. Und da würde ich fragen war das Ergebnis denn absehbar für euch? Und inwieweit verändert die Umfrage denn jetzt etwas an der Situation?

Kai S. Pieck [00:12:59] Ja. Erst mal schönen guten Abend. Danke für die Einladung und danke, dass ihr das überhaupt möglich macht, auf beiden Kanälen

Kai S. Pieck [00:13:05] also Zoom und Clubhouse

Kai S. Pieck [00:13:07] zu veröffentlichen, das ist eine großartige Sache. Ja, wenn man ehrlich ist, sind die Ergebnisse im Prinzip natürlich nicht überraschend für uns, die wir uns mit diesen Themen schon lange befassen und beschäftigen. Was mich persönlich doch relativ schockiert hat. Trotz alledem ist der große Anteil an Diskriminierung gegen Frauen Cis-Frauen. Das finde ich schon wirklich mega schockierend. Und wir haben natürlich alle, da wir Branchen mäßig vernetzt sind, uns zusammengeschlossen, weil wir gesagt haben, dass es keinen Sinn macht, wenn wir als einzelne Gruppierungen uns mit irgendwelchen Umfragen rumschlagen, sie finanzieren müssen usw. und haben gesagt, es macht nur Sinn, wenn wir uns gemeinsam als als Diversitätsgruppe aufstellen und versuchen, diese Umfrage zu finanzieren und sie erst einmal überhaupt zu konzipieren und haben circa anderthalb bis zwei Jahre eigentlich gebraucht, bis wir das auf die Reihe gekriegt haben, bis wir uns sortiert hatten. Citizens for Europe ist erst zu einem späteren Zeitpunkt dazugestoßen und einer der mit Initiatoren ist Oliver Zenglein von Crew United, der uns ab einem gewissen Punkt zusammen geführt hat und gesagt

Kai S. Pieck [00:14:25] hat, dass

Kai S. Pieck [00:14:26] er das unterstützt.

Kai S. Pieck [00:14:28] Und daraus

Kai S. Pieck [00:14:29] ist dann sozusagen Vielfalt im Film entstanden, zusammen mit

Kai S. Pieck [00:14:31] Citizens for Europe.

Yugen Yah [00:14:33] Ich würde da weitergehen und würde den Hao fragen: „Wie wichtig siehst du denn diese Erhebung von diesen Zahlen für die Filmlandschaft?“

Dieu Hao Do [00:14:41] Ja, also Deniz hatte das ja auch eingehens gesagt. Das es vorher sehr auch, dass es eben subjektive Erfahrungen waren, die Schilderungen. Und es wurde dann auch teilweise abgesprochen und ich glaube, es ist ganz

Dieu Hao Do [00:14:50] wichtig, jetzt an dieser

Dieu Hao Do [00:14:52] Stelle eben diese wertvollen Daten zu haben und Daten basierte Forderungen

Dieu Hao Do [00:14:55] zu stellen.

Dieu Hao Do [00:14:56] Also wir leben ja in Deutschland auch in einem Land, wo Statistiken eben auch sehr, sehr viel wert sind und ich glaube auch grundsätzlich wert sein sollte. Und mit diesen Zahlen jetzt auch an unterschiedlichen Stellen an unterschiedliche Tische, sei es jetzt in den Landesförderung, in der Bundesförderung, in den Gremien damit zu argumentieren, das ist glaube ich ein sehr, sehr wichtiger Punkt, das was wir jetzt machen können, das ist auch eine unserer zentralen Forderungen.

Dieu Hao Do [00:15:18] Das wir

Dieu Hao Do [00:15:19] mit an dem Tisch sitzen müssen, um auch etwas zu bewirken. Wir reden ja jetzt hier, wie Deniz das auch schon Eingangs sagte, es sind keine individuellen Erfahrungen, sondern es sind strukturelle Probleme. Es sind strukturelle Hindernisse. Die Strukturen sind tatsächlich so stark und dass es eben wichtig ist, mit Zahlen und sachlich zu argumentieren, um wirklich auch Veränderung herbeizuführen.

Susanne Braun [00:15:38]  Da würde ich direkt gerne anschließen wollen und fragen wollen Hao, welche Institutionen ihr schon mit mehr in den Fokus genommen habt. Was gibt es vielleicht auch schon für Ideen oder Mittel oder Werkzeuge, die ihr entdeckt habt, die ihr gerne nutzen wollt? Entweder vielleicht auch wenn man in den internationalen Raum blickt, was kann man da auch schon adaptieren? Und welche Institutionen sind demnach für euch besonders wichtig und interessant?

Dieu Hao Do [00:16:04] Ja ich meine Hamburg Schleswig-Holstein hatte mit diesen Diversitätskriterien, was ja auch in Anlehnung an die BFI-Standards ist, den ersten Aufschlag gemacht und ich weiß, dass auch Hessen Film da jetzt auch nachziehen möchte oder dass auch innerhalb der Landesförderung diskutiert. Das wäre glaube ich eine sehr gute und wichtige, ein wichtiger Punkt, wenn die Landesförderung aber dann auch, also die Landesförderungen, die zahlreichen Landesförderungen als auch eben FFA, BKM, dass die überhaupt mal an einen Tisch mit

Dieu Hao Do [00:16:37] denen kommen und dann über

Dieu Hao Do [00:16:38] diese Zahlen sprechen und auch überlegen, was für Maßnahmen getroffen werden können. Es gab sehr viele Maßnahmen. Ich hab mit den Initiativgruppe gesprochen, sei es jetzt Sensibilisierungsworkshops für Führungskräfte, sei es jetzt auch natürlich was das Förderungsgesetzt, die Novellierung des Filmförderderungsgesetz betrifft, dass wir mit den medienpolitischen Sprechern der Parteien sprechen. Das sind ganz konkrete Vorhaben, die jetzt auch angegangen werden sollten. Und darauf arbeiten wir im Grunde jetzt auch alle hin jetzt und dafür sind die Zahlen natürlich sehr, sehr wichtig. Und ein ganz wichtiger Punkt ist ja auch nochmal zu schauen, wie können solche Ergebnisse oder wie kann es sowas überhaupt bemessen werden oder auch gemessen werden. Und da war auch eine zentrale Forderung unsererseits eben noch mehr Forschung, mehr Studien, Studien zu Karriereleitern, Studien zu sexueller Belästigung am Set, zu Blinden- und

Dieu Hao Do [00:17:31] Sehbehinderten im Kino und Fernsehen

Dieu Hao Do [00:17:33] zum Beispiel auch vertiefte Programmeanalysen und eben auch ein unabhängiges Organ, was Daten sammelt und dann auch tatsächlich auch überprüft und monitort um zu sehen. Findet denn wirklich Veränderung statt?

Yugen Yah [00:17:45] Genau da könnte ich gleich nochmal den Link zu Tyron machen. Im letzten Jahr hast du ja schon das FFG bist du angegangen und hast das schon versucht anzugehen um zu gucken, wie man halt das Thema Diversität im Filmfördergesetz halt verankert. Was war da deine direkte Forderung, wäre die erste Frage und die zweite Frage, oder die anschließende Frage wäre, was kannst du jetzt mit diesen Zahlen vielleicht mehr erreichen?

Tyron Rickets [00:18:10] Also wir hatten bis jetz alle persönliche Erfahrungen und Vermutungen und konnten das aber nicht belegen. Das heißt, an jeder Stelle, wo wir ins Gespräch gegangen sind, konnte uns relativ leicht unterstellt werden, dass das ja persönliche Befindlichkeiten oder Ausnahmen sind. Wir haben das sehr oft in Deutschland, das Diskriminierungsfälle oft als Ausnahmen bezeichnet werden. Und das ist eben jetzt eine ganz große Veränderung. Also wenn wir schwarz auf weiß eine Studie haben, wo Zahlen belegen, dass diese Ungerechtigkeiten tatsächlich stattfinden, haben wir einen ganz anderen Hebel. Also das ist der Grund für die Zahlen und das hat ja auch die damalige sogenannte Diversitätsstudie der Universität Rostock gemacht wurde, wo es aber eigentlich nur um Gender ging, hat ja auch

Dieu Hao Do [00:18:58] bewiesen, dass

Tyron Rickets [00:18:59] nachdem Zahlen da waren,

Dieu Hao Do [00:19:02] auch

Tyron Rickets [00:19:02] relevante Weichen gestellt werden konnten für die Diskriminierung von Frauen in Film und Fernsehen. Also das erhoffen wir uns. Bei meinem mehrmaligen Versuchen, mit dem BKM über die Novellierung des Filmförderungsgesetzes zu sprechen, hab ich halt die Erfahrung gemacht, dass da

Tyron Rickets [00:19:18] gar kein

Tyron Rickets [00:19:18] großes

Tyron Rickets [00:19:19] Interesse kam von

Tyron Rickets [00:19:20] der anderen Seite. Also das Argument war ein bisschen: „Ja wir machen ja schon Greenproduction und wir wollen jetzt mal die Produzenten nicht überfordern mit mit jetzt noch mehr Dingen auf die die da achten müssen. Und das fand ich persönlich sehr enttäuschend. Also dass da meines Erachtens gar keine Offenheit da war und die denke ich, können wir jetzt einfordern mit den Zahlen.

Kai S. Pieck [00:19:41] Vielleicht darf ich da kurz was ergänzen dazu. Wir hatten, da waren wir noch nicht in Vielfalt im Film Verbund in dem Sinne, hatten auch sozusagen unsere Eingabe gemacht, was das Filmförderungsgesetz angeht und saßen da auch mit am Tisch. In diesem ersten großen Runden, wo alle möglichen Leute sich, also alle möglichen Verbände usw. sich mit eingebracht haben. Die Novellierung des Filmförderungsgesetzes ist, oder die große Novellierung ist daran gescheitert, letztes Jahr, dass die Pandemie sozusagen uns alle irgendwie eingeholt hat und deswegen das als Vorwand genommen wurde nur eine kleine Novellierung zu machen, die in der Regel oder im wesentlichen nur ums Geld sozusagen ging, aber nicht um die Inhalte. Von daher hoffen wir, dass wir mit dem nächsten Aufschlag da mehr bewirken können. Und da können wir jetzt als Verbund Vielfalt im Film glaube ich eine ganze Menge ausrichten, auch mit der Studie, die wir jetzt sozusagen als Basis dafür haben. Ich glaube aber, und das ist das, was, womit wir uns damals befasst haben wir sind das ganze Gesetz sozusagen durchgegangen und haben geguckt, okay wo kann man eigentlich ansetzen, um Diversität zu verankern und haben festgestellt, dass es gar nicht so sehr in den Inhalten geht, die gefördert werden, weil diesbezüglich ist es eigentlich relativ offen gehalten, sondern dass es personell einfach extrem

Kai S. Pieck [00:21:06] wichtig ist

Kai S. Pieck [00:21:08] zu gucken, dass in den Gremien, im Aufsichtsrat und so weiter, dass diese Etagen, sag ich jetzt mal, dass die divers

Kai S. Pieck [00:21:17] besetzt sind. Das ist die eigentliche Herausforderung.

Kai S. Pieck [00:21:20] Wir haben es immerhin geschafft, dass Sie das Wort Diversität überhaupt jetzt in die kleine Novelle mit reingenommen haben, an ein oder zwei Stellen. Das ist absurd, aber es ist immerhin schon was. Aber was das angeht, müssen wir personell sozusagen ansetzen und gucken. Und die Inhalte, wir haben vorhin von den Inhalten gesprochen, das ist sozusagen nochmal was ganz anderes. Tyron hat gerade die Studie zur audiovisuellen Diversität angesprochen, von Malisa und Rostock. Die haben jetzt ein Follow up gemacht, was im Sommer mit neuen Ergebnissen kommt, die angeblich wirklich divers sein soll. Und da geht es allerdings eben nicht um das Personal, also die Menschen vor und hinter der Kamera, sondern um die Inhalte. Das heißt, das wird eine wunderbare Ergänzung sein zu dem, was wir jetzt personell sozusagen gerade erhoben haben.

Yugen Yah [00:22:09] Ich nutze es gleich mal, um auch nochmal in die Richtung Beeinträchtigung zu gucken und da zu fragen, ob Barbara, ob du das Gefühl hast, dass die Beeinträchtigten in irgendeiner Weise genug dargestellt werden in dieser Studie. Weil ich habe gerade die, ich werde die Fragen aus dem Publikum später nochmal stellen, aber da gab’s gleich auch schon dieser Hinweis, dass nur ein Prozent Behinderte dabei sind bei der Studie. Also ist bei der Erhebung genug Blick darauf geworfen worden. Weil ich habe das Gefühl, das vergessen wir oft bei Thema Diversität.

Barbara Fickert [00:22:41] Ja, das ist, wir sind so ein bisschen das Schlusslicht. Aber das ist ganz großartig, das Kinoblindgänger mit den Leidmedien von Sozialhelden e.V., die Initiative von Raúl Krauthausen und der Deutsche Blinden- und Sehbehinderten Verband, dass wir mit in der Initiativgruppe uns einbringen konnten. Denn wir haben keine, keine Lobby in dem Sinne. Es gibt so wenig Filmschaffende mit Behinderung, die sind wiederum verteilt auf vielfältige Behinderungen. Das ist ungemein schwierig. Und deswegen ist es ganz großartig, dass wir in dieser Initiative mit reingerutscht sind oder teilnehmen können.

Yugen Yah [00:23:26] Und hast du das Gefühl, dass die Abbildung ausreicht. Es gibt kein ausreichend in dem Fall, wahrscheinlich aber…

Barbara Fickert [00:23:33] Also von der Umfrage her, die hat es eigentlich. Die hat halt die Realität aufgezeigt. Es gibt minimal wenig Filmschaffende mit Beeinträchtigung. Sonst hätten ja auch mehr daran teilgenommen. Also das zeigt es ja schon auf. Es gibt eigentlich zwei Hebel. Zum einen müssten sich die Ausbildungsstätten öffnen für Interessierte, die Berufe des Filmschaffens erlernen möchten. Da Barrieren abzubauen. Und ein anderes großes Thema ist die Sichtbarkeit im Film Klischeefrei, da es in dem einen wie im anderen Bereich noch sehr, sehr viel zu tun.

Yugen Yah [00:24:14] Wie sieht es denn mit den Barrieren aus beim Film konsumieren? Ich glaub das ja auch ein wichtiger Punkt in dem Fall, also welche Hürden gibt es denn für beeinträchtigte, überhaupt mit dem Film überhaupt in Berührung zu kommen, um selber vielleicht filmschaffende Personen zu werden? Genau wie ist da der Stand aktuell? Und was kann man da verbessern?

Barbara Fickert [00:24:30] Da ist der Stand, dass es eigentlich in vielen Städten verteilt über die Republik gibt es inklusive Theater. Und in Berlin ansässig, gibt’s die Initiative Rollenfang. Das ist sehr großartig, das sind 30 Schauspieler und Schauspielerinnen mit Beeinträchtigungen und die haben jeweils einen Paten/Patin ohne und die Schauspielerinnen und Schauspieler ohne Beeinträchtigung versuchen dann immer in einer aktuellen Filmproduktion z.B. auch ihren Partner oder Patin.

Kai S. Pieck [00:25:07] Hey, ich hab da

Barbara Fickert [00:25:08] jemanden an meiner Seite und wollt ihr nicht mal versuchen eine Rolle noch einzubauen? So, das ist also der eine Strang und der andere ist, die machen Workshops, die laden dann auch nicht Behinderte, Regisseure und Regisseurinnen ein und bekommen natürlich jetzt auch verstärkt langsam Casting-Gesuche. Die sind zwar auch manchmal schwierig, weil die Leute einfach sagen ich brauche einen jungen Mann, Rollstuhl, Alter, aber ja, das sind manchmal. Das ist nicht so, was man sich da wünscht. Also die suchen dann einfach nur eine Behinderung. Und möchten denn damit eine Rolle begleiten, aber diese Selbstverständlichkeit fehlt einfach noch.

Tyron Rickets [00:25:57] Darf ich da auch noch eine Frage stellen, wie würde denn so eine Anfrage dann aussehen, wenn man jetzt als Produzent jemanden mit Beeinträchtigung besetzen möchte? Wie? Wie sollte denn die Anfrage aussehen, ohne dass sich das dann komisch anfühlt?

Barbara Fickert [00:26:12] Gute Frage.

Tyron Rickets [00:26:13] Weil wenn ich also wenn ich jetzt eine… Man hat ja eine klare Vorstellung davon, was eben dann der Drehbuchautor ins Drehbuch geschrieben hat. Also was wäre eine gute, gute Art?

Barbara Fickert [00:26:25] Nicht nicht nur reduziert auf die Behinderung. Also das das nicht das erste Augenmerk ist, der muss jetzt im Rollstuhl sitzen und und und das und das Alter haben, sondern der soll auch spielen. Klischeefrei erzählt.

Yugen Yah [00:26:42] Da gebe ich dir auf jeden Fall recht. Und da kann ich nur einen befreundeten Schauspieler zitieren. Jerry Kwarteng er hat in unserem Podcast einmal auch erwähnt gehabt, dass man vielleicht mehr nach nem Typ casten sollte als nach ner ethnischen Herkunft oder nach einer Beeinträchtig oder Behinderung oder was auch immer. Dass man dadurch vielleicht die Tür weiter aufmacht und nicht ebend schließt sofort von vornherein und sagt: „Jetzt suche ich nur einen asiatischen Menschen.“ Und damit können sich nur die Asiaten melden darauf, dann fragt man sich auch bei den anderen Rollen okay, dann ist es auch wieder ausschließend oder nicht oder wie auch immer. Und ich glaube, das sollte man mehr öffnen. Jetzt darfst du Kai, sorry,

Kai S. Pieck [00:27:17] Ne alles gut.

Kai S. Pieck [00:27:18] Ja genau, ich wollte dann Teil dessen, was du schon gesagt hast, ergänzen und wollte

Kai S. Pieck [00:27:24] aus unserer

Kai S. Pieck [00:27:25] Erfahrung jetzt im Speziellen was Queer Media Society angeht erzählen, dass wir seit ungefähr anderthalb Jahren immer wieder Anfragen kriegen, vor allen für

Kai S. Pieck [00:27:37] den Transbereich.

Kai S. Pieck [00:27:39] Also das heißt nach Transschauspielen. Und man merkt natürlich teilweise, da geht’s dann um Casting und Castingbeschreibung so zu sagen für einen Charakter für einen Charakter oder wenn es darum geht eine Drehbuchberatung oder was auch immer zu machen. Und dann merkt man natürlich auch sehr schnell,

Kai S. Pieck [00:27:57] ob

Kai S. Pieck [00:27:58] die Person, die sich dann meldet, sei das eine Caster*in oder eine Produktionsfirma, die mit einem Stoff oder was auch immer oder einer Idee kommt. Da merkt man natürlich sehr schnell, alleine schon am

Kai S. Pieck [00:28:08] Wording, ob

Kai S. Pieck [00:28:10] die sich mit dem Thema

Kai S. Pieck [00:28:11] Trans befasst haben

Kai S. Pieck [00:28:13] oder nicht. Und dann sozusagen muss man erst mal ganz klipp und klar, wenn man merkt, dass es nicht der Fall ist, sagen Okay, macht erst mal eure Hausaufgaben, bevor wir überhaupt das in dem Fall jetzt an unsere Trans AG bzw. die Tin AG, haben wir es jetzt umbenannt, weil es da noch um wesentlich mehr Menschen geht. Bevor wir etwas an die weiterleiten, weil die flippen dann aus. Ja und ich weiß nicht, wie es sozusagen in der Community der beeinträchtigten und behinderten Menschen ist. Ihr werdet sicherlich auch sozusagen eure Erfahrungen gemacht haben, wenn irgendwelche hanebüchenen Beschreibungen euch vorgelegt werden. Das ist es letzten Endes glaube ich ein Kriterium, wo man sagen muss Okay, in dem Moment, wo man merkt, die Leute, die sich da melden, haben ihre Hausaufgaben gemacht und denen ist das Thema bzw. der Charakter, um den es dann eben geht, wirklich wichtig, dann kann, finde ich, kann man anfangen zu arbeiten. Und wenn ich noch ein letztes sagen darf vorhin, ich weiß nicht mehr wer es war, hatte jemand, ich glaube Tyron wars, die Diversity-Checkliste von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein erwähnt. Da war der Aufschrei ja auch teilweise sehr groß, vor allem von den Kreativen, also in dem Fall natürlich dann die Autor*innen oder teilweise aber auch von der Produktionsseite, die gesagt haben: „Das ist ja ein Skandal und jetzt müsste man irgendwie zukünftig kreativ sein nach Checkliste muss irgendwie alles abhaken. Das ist einfach ein völlig absurdes Argument, wie ich finde.

Kai S. Pieck [00:29:52] Weil natürlich,

Kai S. Pieck [00:29:54] wenn wir jetzt z.B. uns hinstellen, auch als Vielfalt im Film und sagen, wir müssen jetzt hier Quoten aufstellen und so weiter, das ist bei den Frauen 50:50. Ich weiß nicht, bei den Menschen mit Migrationshintergrund 25%. Für die Queers wären es irgendwie mindestens 7% und so weiter. Das heißt, es geht nicht darum zu sagen, dass jedes Produkt, also jeder Film, jede

Kai S. Pieck [00:30:22] Serie diesen

Kai S. Pieck [00:30:24] Prozentsatz an Vielfalt beinhalten muss. Das wär ja auch völlig absurd. Sondern dass wir die Produktionsstätten und auch die Förder Institutionen in die Pflicht nehmen und sagen von euerm turnusmäßigen Output, also was ihr entweder pro Fördersitzung oder pro Jahr wie auch immer raushaut oder auch an die Sender gerichtet da seid ihr in der Pflicht sozusagen die Diversität innerhalb dieser ganzen Produktion

Kai S. Pieck [00:30:53] abzubilden und nicht innerhalb

Kai S. Pieck [00:30:55] einer Produktion. Das wäre in meinen Augen völlig absurd.

Tyron Rickets [00:31:00] Ja. Ich würde dazu gern noch was sagen aus eigener Erfahrung. Ich glaube, wir sind ja gerade in Bewegung. Also unsere Gesellschaft ist generell in Bewegung. Wir überdenken viele

Tyron Rickets [00:31:12] Dinge, die

Tyron Rickets [00:31:14] wir früher auf eine Art gemacht haben, dass wir die jetzt anders machen wollen. Und ich merke aber selber gerade. Also ich bin selbst auch Produzent und wir produzieren gerade eine neue Serie mit einem schwarzen Hauptdarsteller und ich weiß, weil unser Writers Room ist wirklich sehr, sehr divers.

Tyron Rickets [00:31:33] Und ich ich weiß, wie

Tyron Rickets [00:31:35] manche Rollen da erdacht wurden, merke aber auch, dass dann z.B. im Castingprozess, also wenn dann nicht der Autor selber, der macht ja nicht das Casting, sondern der gibt es dann weiter an den Produktionsleiter, der Produktionsleiter gibt es dann weiter an die Casting Firma und die Casting Firma die sucht dann im Zweifelsfalle nach dem schwarzen Menschen und ich merke oft, dass im Prozess eben auf dieser Strecke, weil da natürlich nicht jeder vougue ist und nicht überall wirklich auch Menschen mit eigener Diversitätserfahrung sitzen, dass da viel verloren geht auf diesem Weg. Und das es dann durchaus sein kann, dass die, die die Rollen Beschreibung dann am Ende oder die Anfrage klischeemäßig erscheint, obwohl der Autor sich da natürlich eine ganze Figur gedacht hat. Also ich wollte nur einfach vielleicht ein bisschen dafür sensibilisieren, dass wir uns halt gerade im Prozess befinden und das wir vielleicht nicht schon direkt damit rechnen können, dass das alles schon reibungslos läuft. Also ich persönlich wäre auch zufrieden, wenn erst einmal wenns Quoten gibt und wenn die dann im ersten Schritt zumindestens erstmal die Quoten eingehalten werden.

Kai S. Pieck [00:32:53] Aber wenn die Quote dazu führt, dass es ebenso abgehakt wird und

Kai S. Pieck [00:32:57] das was Barbara

Kai S. Pieck [00:32:59] gerade sagte, das sozusagen dann nur noch um Stereotypen geht, das wollen wir ja auch nicht.

Tyron Rickets [00:33:05] Nein, natürlich nicht. Aber was ich sage ist, es muss nicht immer so sein. Also wenn, wenn,

Tyron Rickets [00:33:11] der Caster

Tyron Rickets [00:33:12] dann fragt nach jemanden explizit im Rollstuhl, dann heißt es nicht, dass der Autor sich einfach nur reingeschrieben hat, jemand im Rollstuhl und sich dann keine Gedanken über den Rest des Charakters gmacht hat.

Kai S. Pieck [00:33:22] Nein, auf gar keinen Fall. Ach so, nein auf gar keinen Fall. Aber daran merkst du dann ja wiederum auch und das ist eben die Erfahrung, die ich auch gemacht habe, dass viele jetzt mittlerweile guten Willens sind, das ist ja schon mal gut.

Kai S. Pieck [00:33:35] Aber sich trotzdem

Kai S. Pieck [00:33:36] noch keine Gedanken gemacht haben, weil das einfacht, weil sie es einfach nur weitergeben. Und wenn du sagst, natürlich gibt es von der Autorin oder vom Autor zu sagen bis zum Casting oder bis zum Set sozusagen natürlich viele Hürden zu nehmen. Vollkommen klar. Aber wenn diese Awareness sozusagen sich nicht nur das ganze Team oder durch die ganze Produktion zieht mit einem entsprechenden Bewusstsein, ja klar, dann, dann haben wir natürlich ein Problem. Ich habe gerade, ich kann keine Namen nennen, aber ich habe gerade gehört. Von einer internen Redaktionsbesprechung, wo eine Person ausgewiesen war als Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftragte und von tuten und blasen keine Ahnung hatte. Das ist keine Seltenheit, aber da fragt man sich dann irgendwie auch, Okay, was wollt ihr denn? Also wollt ihr Diversity-Washing betreiben, indem ihr einfach so eine Position dahin stellt, oder wollt ihr wirklich was verändern und bewegen? Und das ist genau der Punkt. Da muss man den Leuten einfach auf die Füße treten.

Kai S. Pieck [00:34:46] Und ich finde

Kai S. Pieck [00:34:47] dazu sind wir eben auch da. Also nicht nur Verständnis zu haben dafür, dass es ein langer Prozess ist das wissen wir alle natürlich, sondern auch ein bisschen unangenehm einfach zu werden. Das wird natürlich in dem Moment schwierig, wenn wir uns selber in Abhängigkeiten begeben. Wie gesagt, Tyron du bist Produzent und Schauspieler, ich bin Regisseur und Autor. Also das heißt, wir machen uns nicht immer beliebt, wenn wir da anfangen, auf die Barrikaden zu gehen.

Tyron Rickets [00:35:12] Da sagst du was.

Yugen Yah [00:35:15] Ich würde gerne nochmal in die Runde geben. Wie sehen denn jetzt die Meetings zwischen euch aus? Gibt es Meetings zwischen euch aus der Initiativgruppe? Und in welche Richtung bewegen die sich? Gibt es da schon was absehbares?

Kai S. Pieck [00:35:26] Ja, an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist auch als als größter Geldgeber mit bei der Studie dabeigewesen. Und das das die Branche vielleicht auch selber auch schwer anerkennen kann, besteigt ja auch die Fragen der Branche. Diskriminierung und Rassismus und Ausgrenzung sind ja gesamtgesellschaftliche Fragen. Und ich glaube, es ist ganz gut, dass wir da eine Bundesbehörde mit an Bord haben, die auch die Ergebnisse sehr alarmierend wahrgenommen hat. Das ist einer unserer nächsten Schritte, dass wir gemeinsam mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Veranstaltung Ende des Jahres machen werden, indem wir da nochmal ganz konkret mit ganz vielen EntscheidungsträgerInnen, also Menschen in Entscheidungsmacht und in Besatzungsmacht, da auch mit denen sprechen und da unsere Forderungen platzieren.

Yugen Yah [00:36:18] Und kamen Leute auf euch zu. Also kamen jetzt nachdem, ich meine es sind ja jetzt auch schon fast sechs Wochen her. Habt ihr das Gefühl gehabt, außer das jetzt die Presse darüber schreibt, dass auch jetzt vielleicht in der Filmszene etwas passiert und Leute, die vielleicht davor nie irgendwie diesen Schritt gewagt haben, jetzt vielleicht sagen wir müssen etwas machen.

Dieu Hao Do [00:36:36] Ich sag mal so ich kann es schwer einschätzen, inwieweit jetzt beispielsweise diese Studie

Dieu Hao Do [00:36:41] jetzt bei vielen

Dieu Hao Do [00:36:42] Leuten die jetzt ganz praktisch am Set also in der Branche. Also wir reden ja von vielen, vielen Stellen innerhalb der Filmbranche, der ankommend. Ich glaube die Tatsache, dass wir immer wieder, dass es einerseits die viel Presse gab,

Dieu Hao Do [00:36:54] dass wir

Dieu Hao Do [00:36:54] nach wie vor noch wirklich fokussiert über diese, über die Ergebnisse sprechen ist ein ganz entscheidender Schritt, das wirklich in die

Dieu Hao Do [00:37:00] Breite zu tragen.

Dieu Hao Do [00:37:02] Also ich will das wirklich auch nochmal betonen, die Filmbranche ist sehr heterogen und sehr komplex. Und da an den unterschiedlichen Entscheidungspositionen, sei es jetzt in den Redaktionen, bei der Entwicklung, beim Casting als auch bei den Förderinstitutionen, das ist kein entweder oder es sind wirklich sowohl als auch Prinzipien, die meiner Meinung nach da arbeiten. Also das sie auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedliche Stellschrauben in Bewegung setzen müssen. Und da werden wir auch als Initiative, da geht auch nochmal das Wort an die anderen in der Initiative, uns da beratschlagen wie wir mit den Ergebnissen Daten basierte Forderungen stellen können.

Kai S. Pieck [00:37:41] Wenn ich kurz ergänzen darf. Es gibt z.B. eine wunderbare Initiative von der Synchron Gilde. Das ist der Verband der Synchron Firmen, die Workshops kostenlose Workshops gerade anbieten, sowohl z.B. für schwarze Schauspielende bzw. eben Sprechende oder Schauspielende die noch nicht sozusagen synchronisiert haben, egal welchen Alters. Gleichzeitig aber auch für einen anderen Workshop mit selben Ziel für Trans und nicht binäre Schauspielende für den Synchronbereich, weil sie sagen, dass es immer mehr amerikanische Serien gibt die diese Charaktere zeigen und sie die eben auch authentisch sozusagen besetzen wollen. Das z.B. ist finde ich eine super Sache, die die nach vorne weist oder auch von Filmförderungsseite gibt es Kontakte, die sagen wir wollen uns mit euch besprechen und wie können wir die verschiedenen Diversitätsthemen bei uns nach vorne bringen? Wie können wir nicht nur unsere eigene Belegschaft sensibilisieren, sondern wie können wir, auch wenn es Landesförderung sind, die Filmbranche in unserer Region empowern? Also das sind so die ersten Sachen, die bei uns aufgelaufen sind.

Yugen Yah [00:39:02] Andrea Du wurdest ja von Susanne auf die Bühne geladen achso Susanne du wolltest schon was sagen.

Susanne Braun [00:39:07] Ich wollte sie gerade mit offenen Armen empfangen. Hallo Andrea, schön das du mit auf unserer Speaker-Lounge bist. Ich hab gesehen du bist als Hörfilmredakteurin unterwegs?

Publikum | Andrea [00:39:18] Ja genau. Also ich mach z.B. den BR. Also bin ich auch als Filmbeschreiberin mit zwei Sehenden Menschen dabei und für andere Firmen arbeite ich auch mit einem Kollegen zusammen seit 2011 auch schon. Ich hab jetzt ein paar Aspekte die mir zum Thema noch einfallen, will aber auf den Punkt kommen dann auch. Und zwar der erste ist ich bin selbst mal in einem Film als, also ich war das Drehbuch-Objekt sozusagen. Die Blinde, die dann sozusagen charakterisiert werden sollte. Und das Drehbuch wurde dann aber ganz stark verändert. Die Schauspielerin hat sich mich jetzt dann angeguckt, weil es ja zu der Zeit immer noch so war, dass da gar nicht in Betracht gezogen wurde, dass Blinde überhaupt als Schauspieler tätig werden könnten. Und da ist mir halt auch aufgefallen, dass die Menschen sich teilweise mit dem, was der Blinde oder was die Realität von Blinden oder Menschen mit Behinderung überhaupt ist so ganz schlecht auseinandersetzen. Und man merkt es halt auch in den Filmen oft,

Publikum | Andrea [00:40:31] dass man als blinder Mensch oder als Mensch mit Behinderung eher entweder den Superhelden darstellt oder eben das ganze Gegenteil. Also da soll es irgendwie eine Mitte geben, dass das vielleicht ein Mensch ist, der eine Behinderung hat zufällig aber eigentlich eine andere Rolle verkörpert, also auch den Rest der Rolle auch verkörpert und nicht, dass die Behinderung so im Mittelpunkt steht. Und das Zweite ist, dass wir Audiodiskriptionen machen, für Kinos, das sind auch öfter Dokus so nischen Programme würde ich das jetzt mal nennen und die landen dann leider im Schrank,

Kai S. Pieck [00:41:09] weil das Filmförderungsgesetz

Publikum | Andrea [00:41:12] nicht hergibt, das die Audio Deskriptionen

Kai S. Pieck [00:41:15] die gemacht

Publikum | Andrea [00:41:15] werden auch wirklich in den Kinos gezeigt werden. Das heißt, wenn jetzt so eine Doku die nischen Programm oder nischen Publikum erreichen wird, dann finden das oft die Kinobetreiber nicht notwendig, dass sie die filme, dass sie das dann auch wirklich über Greta, also über die App laufen lassen, sondern das landet dann irgendwo in einem Schrank und wird halt nie mit Audiodiskriptionen gezeigt und das finde ich halt super schade und das finden wir alle frustrierend und was man da in der Filmförderung etwas macht, weil weil das halt, das macht einen auch so machtlos, weil du weißt, dieser Film wird jetzt für den Giftschrank produziert. Du weißt das eigentlich schon, während du die Audiodiskription machst und weißt du kannst nix tun. Oder es kommt auch vor, dass das dann ein Film im Fernsehen gezeigt wird und dann wissen die vom Sender nicht, dass der Film eigentlich das der eine Audiodiskription hat. Und dann hab ich selber einen Film gesehen, wo wir die Audiodiskription gemacht haben und mich geärgert, weil der ohne Audiodiskription im Fernsehen lief, solche Sachen gibt’s auch oder es gibt auch Filme wo doppelte Audiodiskriptionen erstellt werden, weil die gucken gar nicht nach, ob es schon eine gibt. Nee, da machen wir dann nochmal eine zweite, das hatten wir jetzt auch kürzlich wieder.

Publikum | Andrea [00:42:33] Also solche Sachen

Publikum | Andrea [00:42:34]  die sind halt so unabgestimmt irgendwie.

Susanne Braun [00:42:37]  Barbara, du hast da eigentlich genau auf deiner Seite auch die vier wichtigen Impulse, um den barrierefreien Film und die Audiodiskription mehr nach vorne zu tragen. Kannst du zu „Kino Blindgänger“ und genau diesen vier Impulsen vielleicht etwas sagen?

Barbara Fickert [00:42:53] Ich hab mich mal ran gesetzt. Das erste ist, dass alles gezählt wird, in Deutschland allgemein und in der Filmbranche auch, wieviel Filme gibts mit welchen Anteilen, Zuschaueranteilen usw.. Aber es weiß eigentlich kein Mensch für wie viele Filme es eine barrierefreie Filmfassung überhaupt gibt. Weil das hängt ja auch davon ab, wer gefördert hat. Und das finde ich eigentlich wichtig, dass man mal weiß, wie viele Filme haben wir überhaupt pro Jahr, die dann ins Kino kommen. Fernsehen ist jetzt mal außen vor. Der zweite Punkt, aber da sind wir gerade dran am Arbeiten, dass auf den Filmportalen wäre es super, wenn man auch einfach sehen könnte, Aha ein Filmtitel und barrierefrei Filmfassung produziert von blablabla. Also quasi da schon mal eine Sichtbarmachung, der barrierefreien Fassung. Der dritte Punkt das hat Andrea eigentlich schon gerade gesagt für die Filme für die es eine Barrierefreiefassung gibt, die kommt nicht automatisch im Kinosaal ich sage mal in die Ohren oder vor die Augen der jeweiligen Zielgruppe. Und der vierte Punkt sind diese, deswegen hab ich eigentlich auch die „Kino Blindgänger gGmbH“ ins Leben gerufen, das sind die vielen, vielen internationalen Filme, vor allen Dingen auch Art House Filme, die weil keine deutschen Fördergelder drinstecken eben gar keine Barrierefreiefassung bekommen. Das ist ein ganz großer Punkt und dafür fühlt sich auch irgendwie niemand so richtig zuständig. Das FFA ist nun mal Förderung des deutschen Films. Und eigentlich müsste man das mal schauen, dass man das bei der BKM, die wissen das auch, aber es ist halt ungemein schwierig, da irgendwie eine Möglichkeit zu schaffen, dass einfach mehr als nur 30% der Kinofilme im Jahr eine Barrierefreiefassungen haben oder 40 sagen wir mal.

Yugen Yah [00:44:52] Okay, dann hab ich noch eine weitere Aussage auch noch aus Zoom, was wir auch auf jeden Fall gerne mit einbauen möchten. Kassandra hat geschrieben: „Mich wundert, dass gesagt wurde, dass Diskriminierung meist davor oder danach stattfände. Ich erfahre keine Diskriminierung bei meinen Theaterprämieren. Bei Filmcastings schon eher, da Produktionen keinerlei Erfahrung mit gehörlosen Schauspielern haben, nicht umgekehrt. Auch unter Behinderungen gibt’s nochmal Unterschiede. Genau das wurde nochmal stark gemacht in dem Zoom, man ist sehr schnell dabei zu sagen einfach nur Behinderung ohne das zu unterteilen, da gebe ich auf jeden Fall Recht auf der einen Seite und genau habt ihr da irgendwie das Gefühl, dass es Unterschiede gibt zwischen dem Bereich Theater und im Bereich Film was jetzt Diskriminierung angeht.

Kai S. Pieck [00:45:38] Naja, es ging ja um Vielfalt im

Kai S. Pieck [00:45:40] Film. Bei uns, das

Kai S. Pieck [00:45:42] heißt, den Theater Bereich haben wir gar nicht erhoben. Und ich glaube es ist ein Missverständnis, denn Kassandra sagt, dass sie bei Castings Diskriminierung erfährt, wenn ich es richtig verstanden habe. Das würde ja, das ist ja genau das, worum es geht. Also ich glaube Casting, aber das, Deniz weißt du vielleicht besser, Casting gehört ja eigentlich eher zur Anbahnung, oder? Oder ist das schon…?

Deniz Yildirim [00:46:07] Genau das würde bei uns eher zur Anbahnung gehen, also Vorsprechen,

Deniz Yildirim [00:46:10] Casting wurde von 62% der Befragten genannt und das sind genau diese Bereiche. Also das davor, das Vorsprechen, das Pitschen von Projektideen und sowie Bergfeste, Premierenfeste. Also das danach, das waren so auffällige Bereiche, die man im klassischen Sinne nicht im Blick hat, wenn man von Diskrimierung im Arbeitskontext spricht. Weil wir doch ein sehr konservatives Verständnis davon haben, dass die Leute ins Büro gehen und dann ist da der Mitarbeiter, dessen Chefs, da sind die Hierarchien und dann findet die Diskrimierung da irgendwie statt, sondern das der Filmbereich nochmal sehr viele Grauzonen hat die nicht vergessen werden dürfen.

Kai S. Pieck [00:46:47] Wobei natürlich nach unserem Verständnis Casting letztenendes zum Arbeitsbereich natürlich gehört. Also von daher ist das wahrscheinlich deswegen auch missverstanden worden.

Deniz Yildirim [00:46:57] Ja, okay. Wir haben in der Befragung immer Beispiele. Also am Set ist zum Beispiel während der Produktion. Das Vorsprechen bei der Anbahnung von Projekten. Genau. Aber das ist gut, dass du das nochmal sagst glaube ich. Deswegen haben wir es auch mit euch zusammen gemacht, ihr die Expert*innen eures Arbeitsumfeldes und wir nerdingen Wissenschaftler die eure Expertise brauchen um die Filmwelt zu verstehen.

Yugen Yah [00:47:20] Das klingt ja auch wieder so als ob wir mehr wieder zusammenarbeiten müssen. Deswegen hab ich ja vorher gesagt, das fand ich besonders spannend an der „Vielfalt im Film Studie“ oder an der Umfrage an der Initiative, dass halt, ich hab das Gefühl das erste Mal eben nicht nur jeder für sich an seiner Front gekämpft hat oder an ihrer Front gekämpft hat, sondern dass man sagt, man arbeitet gemeinsam, so wie Kay vorher gesagt hat, dass es eben nicht eine Quote für diese Gruppe gibt, eine Quote für diese Gruppe gibt, sondern dass man guckt, dass man das zusammen zieht. Est gibt ja Beispiele weltweit, wenn man weltweit oder wenn man nur europaweit guckt, die das besser machen. Wäre denn für Deutschland sowas wie Diversity Standards von dem BFI eine Möglichkeit, die wir anstreben sollten?

Tyron Rickets [00:48:02] Ich denke, klar müssen wir das ein bisschen anpassen an den deutschen Markt, aber das funktioniert in England schon ganz gut, auch da gibt’s Verbesserungsmöglichkeiten, aber ja, ich denke, das wär auf jeden Fall ein schönes Vorbild nachdem wir uns richten können.

Dieu Hao Do [00:48:18] Ich ergänze einfach mal was dazu, in der Studie wurde es ja auch deutlich, dass viele Ausgrenzungserfahrungen und Diskriminierungserfahrungen eben nicht direkt am Filmset, sondern auch noch bei der Anbahnung der Projekte stattfindet und dadurch vor kurzem ein Austausch mit einer Förderreferentin der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, die das ja erst mal jetzt als Selbstverpflichtung da anlehnend an die Diversity-Standards eingeführt haben, dass sie ihre Gremien selber diverser besetzt haben. Und die hat mir ziemlich klar deutlich gesagt seitdem sie das Gremium diverser besetzen, werden komplett andere Fremdstoffe gefördert und jetzt beispielsweise aus jemanden als als jemand der aus der asiatisch diasporischen Community kommt, wir kommen regelmäßig Anfragen auch von weißen Produzent*innen, Regisseur*innen die uns dann auch fragen so könnt ihr eure Erfahrungen teilen, könnt ihr eure Expertise teilen und so weiter und so fort. Solche Gremienentscheidungen kommen tatsächlich bei uns an, weil wir erleben, dass bestimmte Stoffe aufgrund von kultureller Aneignung, die von weißen Filmschaffenden eingereicht werden beispielsweise jetzt über nehmen wir mal an eine vietnamesische Vertragsarbeiterin oder so, dass das nicht durchgeht und wir kriegen das dann mit, dass das auch nicht gefördert wird. Und wir werden dann um rat gefragt oder? Und wir kriegen dann einfach mit.

Dieu Hao Do [00:49:46] Da sind Stellen in eben bei der Anbahnung von Stoffen, wo das Gremium divers besetzt ist und wo es dann deutlich wird, ok, das wird schon von vornherein gesagt, dass es nicht mehr möglich, solche Stoffe zu fördern, wenn es eben keine keine Personen aus der Community gibt, die von Anfang an so einem Stoff arbeitet. Und ich will das Szenario noch einmal weiterspinnen, nehmen wir mal an, es gäbe nicht diese Menschen in diesen Entscheidungspositionen und das wird dann gefördert und dann bekommt es eine Drehbuchförderung, es bekommt eine Produktionsförderung, der Film wird hergestellt, der wird gedreht, der wird eventuell noch auf einem großen Festival ausgewertet und er kommt ins Kino. Dieser ganze Mechanismus ist klipp und klar gesagt 360 grad struktureller Rassismus und es ist eben spannend zu sehen, was so eine wichtige Entscheidungsstelle wie beispielsweise bei einer Förderung in so einem Gremium, wenn da eine Person drin sitzt mit Diversitätserfahrung und sagt, das können wir nicht machen oder eine Person drinnen sitzt und sagt das ist homophob oder das es nicht gefördert wird, dass es an der Stelle schon klar ist, es braucht eine Neuorientierung und darum sind solche Plätze an den Tischen so extrem wichtig.

Yugen Yah [00:50:57] Habt ihr denn gemerkt? Achso sorry Susanne, bitte.

Susanne Braun [00:51:00] Wahrscheinlich hatten wir fast die gleichen Gedanken. Seid ihr denn da an den jeweiligen Gremien mit in Kontakt? Gehen die auf euch zu? Wie sieht da genau der Verbindungsaufbau aus, sodass ihr da auch direkten nen Einfluss mit drauf haben könnt und das auch mit stärken könnt?

Kai S. Pieck [00:51:17] Das passiert alles. Gut, momentan wird sich nicht so viel auf irgendwelchen Festivitäten oder oder so getroffener oder Festivals. Aber es gibt Kontaktaufnahme von Institutionen an uns und teilweise gehen wir aber auch an Institutionen ran. Also das ist unterschiedlich. Dazu muss man sagen, dass wir als Initiative, was Vielfalt im Film angeht, ja momentan jetzt erst dabei sind, uns sozusagen als Initiative über die Umfrage hinaus zu orientieren und zusammen zu finden, damit die Arbeit, die wir jetzt angestoßen haben, nachhaltig sein kann. Also von daher, wenn wir jetzt sagen, Leute rufen bei uns an oder wir melden uns bei den Leuten, dann geschieht das in erster Linie noch aus den einzelnen Gruppen heraus. Also von daher fangen wir jetzt sozusagen an, zweigleisig zu fahren. Das heißt, auf der einen Seite für unsere eigenen Gruppen natürlich diese Kontakte zu haben, zu nutzen, aufzubauen als aber auch als Vielfalt im Film Initiative, da weiter zu machen so zu sagen oder neue Kontakte auch noch wiederum zu generieren.

Dieu Hao Do [00:52:26] Also auch nochmal, um auf die Frage zu antworten. Also mein Telefon klingelt nicht Sturm. Das auf jeden Fall. Wie ihr euch das vielleicht auch vorstellen könnt, dass da jetzt erst einmal Prozesse in Gang gekommen sind? Ja. Ich glaube es ist aber auch wirklich wichtig, dass wir diese Gespräch auch einfordern auf den unterschiedlichen Ebenen. Das ist, glaube ich, kein Selbstläufer. Auch selbst dann, wenn wir jetzt Datenbasierte, also wenn wir jetzt Ergebnisse haben und das ist jetzt mein Grundgefühl dazu. Also wir müssen uns da auch selber an die Tische bringen. Und wenn jetzt auch die Leute, die jetzt zu hören, also das werden wir auch manchmal gefragt, was können wir denn jetzt machen, sei es jetzt als Zuschauer*in oder eben auch als als Filmschaffender usw. Ich glaube das ist beispielsweise einerseits natürlich eine gute Idee, sich selber zu fragen was lese ich gerade z.B. was sind das für Bücher, Was für Filme schaue ich eigentlich, von was für Menschen, wer sind die Autorinnen? Was habe ich überhaupt in meinem ganzen Leben für Filme geschaut, mit welchen Figuren in den Hauptrollen und so weiter und so fort. Aber auch in Situationen, sei es jetzt am Set oder in Gesprächsrunden, auch zu schauen, wer sitzt da eigentlich neben mir, wer arbeitet denn neben mir und da auch um so ein bisschen bewusster zu sein. Das ist was ich selber mache, wenn ich in Panels eingeladen werde, dass ich einfach schon vornherein schon ein bisschen abfrage wer sitzt denn noch im Panel und ist das für mich eigentlich auch ein sicherer Ort. Es ist für mich ein Ort, wo ich auch das alles sagen kann, womit ich mich wohlfühle und falls nicht, bin ich in der Lage, vielleicht auch da mein Wunsch zu äußern oder jemanden vorzuschlagen. Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass wenn wir jetzt von der Position der kritisierenden in agierende Position kommen, da auch ein Bewusstsein zu haben, dass wir eine gewisse Art von Verantwortung mit uns nehmen und dann auch so gut es geht, soviele Leute wie möglich aus marginalisierten Gruppen mit uns ziehen, um wirklich gemeinsam strukturell etwas zu verändern.

Susanne Braun [00:54:22] Ich habe noch eine Frage aus dem Chat. Vielleicht ist die für die Runde ebenfalls interessant, denn hier wird von Mark gefragt, wie kann man ein Casting an einen Rollstuhlfahrer richten? In den internationalen Breakdown steht dann: „The casting director highly in courages people with disability to apply for the roal.“ Wir haben ja vorhin auch schon darüber gesprochen, inwiefern kann man vielleicht gewisse Guidelines kopieren? Ist das etwas, was man so nutzen könnte, um ein Casting auszuschreiben? Ist das was, was ihr mit beantworten könnt?

Kai S. Pieck [00:54:56] Klar, das passiert ja auch schon. Also nicht nur für Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung, sondern auch aus anderen Bereichen oder in anderen Bereichen. Das passiert. Das wird auch schon im Deutschen sozusagen so formuliert, dass ist auf jeden Fall ein guter Weg.

Yugen Yah [00:55:12] Hast du noch abschliessende Worte, die du viellericht hinzufügen würdest? Was sind deine Wünsche vielleicht, was jetzt in der nächsten Zeit passieren soll?

Kai S. Pieck [00:55:20] Ja, ich glaube einfach, dass wir so viele Quoten aufstellen können wie wir wollen. Dass das, ich sage es mal pauschal, Vielfalt im Film sozusagen in den Köpfen und am Ende eigentlich auch in den Herzen der Leute ankommen muss. Und solange das nicht passiert, wird das immer nur so eine halbherzige Geschichte bleiben und das darf einfach nicht sein. Die Leute müssen kapieren, worum es geht. Vielfalt muss gewollt sein und gelebt werden und der Fisch fängt am Kopf an zu stinken und wenn das aus den Entscheidungsetagen nicht verstanden wird, dann können wir uns alle wie gesagt auf den Kopf stellen, dann passiert nicht viel. Selbstverpflichtungen von Firmen und so weiter sind schön. Was die UFA jetzt gerade gemacht hat, ist fantastisch. Jetzt müssen wir gucken, dass sie das auch bis 2024 glaub ich haben sie es aufgestellt, dass sie das bis dahin auch umsetzen können und das dann auch nachhaltig durchsetzen können. Aber neben, wie gesagt, neben den Quoten die wir fordern und die wir aufstellen müssen, müssen wir einfach auch gucken, dass wir die Leute die das entscheiden zu unseren Partner*innen machen und nicht nur einfach irgendwelche Leute an die wir irgendwelche Forderungen richten.

Yugen Yah [00:56:44] Gut gesagt. Also auf jeden Fall das man eben auch wirklich… Das war ja auch so ein bisschen das was Hao meinte mit dem Alliance, dass man wirklich auch Partner sucht und das in beide Richtungen, auch die Initiative selber zu der Politik etc. oder auch zu den Förderungen etc. und gleichzeitig aber auch andersherum. Ich glaube, das ist ein guter Punkt. Barbara, hast du noch abschließende Worte, die du vielleicht noch in die Runde geben kannst?

Barbara Fickert [00:57:05] Ja, ich würde mir was glaube ich gar nicht so schwierig ist. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster, ich bin ja nicht direkt Filmschaffend. Aber wenns einfach mal Behinderungen einfach sichtbarer wäre, das muss ja gar nicht jetzt die Hauptrolle gleich sein, sondern sag mal wenn in einer Familie eben ein Familienmitglied einfach zufällig behindert ist, weil zehnmillionen Menschen sind behindert und die müssen einfach wie sie leben sichtbar gemacht werden. Die haben auch Familien, die gehen arbeiten, die spielen Musik, die machen Sport. Einfach mal hier und da einfach Menschen mit Behinderung sichtbar zu machen wie sie eben, ja Klischee frei, wie sie eben so sind. Das glaub ich, könnte mal ein erster Schritt sein, der glaub ich nicht so schwierig ist.

Yugen Yah [00:58:02] DAs ist doch schonmal gut und Deniz hättest du noch abschließende Worte für die Runde?

Deniz Yildirim [00:58:06] Weil du gerade nach Lehrstellen gefragt hast, wollte ich nochmal darauf hinweisen, dass jede zweite befragte Person Diskriminierung erlebt. 80% der Cis Frauen erleben sexuelle Belästigung. Gleichzeitig zeigt sich, dass wenig Leute dafür sensibilisiert sind. Also gerade weiße Männer sehen überhaupt gar nicht, dass Diskriminierung stattfindet. Wir haben sie auch danach befragt, ob sie Diskriminierung beobachten, die sagen dann: „Nö, nö, wir sehen keine Diskriminierung.“ Und gleichzeitig haben wir so viele Menschen, die sagen sie werden rassistisch diskriminiert oft bis fast immer. Sexuellebelästigung findet häufig statt, fast immer.

Deniz Yildirim [00:58:38] Das heißt ein bisschen Achtsamkeit, Solidarität mit Menschen die Diskriminierung erfahren. Sich dort weiterzubilden und zu sensibilisieren wäre glaube ich eine Sache, die ich gerne noch mitgeben würde, was jeder individuell für sich machen könnte. Nicht auf sich zu achten, sondern auch auf die Menschen drumherum. Nicht nur wär ist da und wer fehlt, sondern auch wie geht’s den gerade auch als sie da sind. Und als Zuschauer*in ein Satz: Ich würde mir sehr wünschen, dass andere Geschichten erzählt werden und das ich den Fernseher machen kann und es einfach normal ist, das mein Alltag meine Geschichten dort auch abgebildet werden. Und als drittes, ich hoffe, dass wir weiterhin Daten haben werden, die diesen Prozess begleiten. Die Forderung nach Quoten ist eine Sache, aber wir müssen immer wieder gucken, evaluieren, was funktioniert, was funktioniert nicht um diesen Prozess einfach nochmal Datenbasiert begleiten. Das sind glaube ich meine drei Wünsche und vielen Dank. Ich freue mich total hier gewesen sein. Ich habe super viel gelernt.

Deniz Yildirim [00:59:28] Vielen Dank. Vielen Dank. Und da kann ich auch nur hinzufügen, Susanne ich glaube auch die Sichtbarkeit ist sehr wichtig von dem, was jeder tut. Und deswegen tun wir das auch hier. Das es halt Sichtbarkeit für Vielfalt im Film auch gibt, in egal welcher Form darüber geredet wird und das Thema auch sichtbar gemacht wird.

Susanne Braun [00:59:47] Deswegen begleiten wir euch auch weiterhin und wir werden hoffentlich in den nächsten Tagen, Wochen, Jahren immer weiterhören wie das Ganze wächst und in diesem Sinne können wir diesen Raum schließen, können nochmal darauf hinweisen, dass es diese Folge auch als Podcast geben wird auf dem Indiefilmtalk. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Gästen.

Yugen Yah [01:00:09] Zusätzlich für alle die jetzt nur in diesem Raum sind. Das Gespräch wurde auch durch die Annika eine Grafik Recordistin aufgenommen. Das heißt, da gibts gerade ein ganz großes Sheet was ich auch gerade vor mir sehe mit dem Gespräch. Das heißt auch da das werden wir natürlich mit unserem Beitrag zusammen teilen. Aber wenn ihr da auf jeden Fall direkten Zugang dazu haben möchtet, schreibt uns gerne an. comment@indiefilmtalk.de oder meldet euch bei unserem Newsletter an, dann werdet ichr natürlich sofort auch das kriegen. Das Bild sieht superspannend aus wie hier.

Susanne Braun [01:00:38] Genau. Da kann man reinzoomen. Und wenn ihr noch mehr über Vielfalt im Film wissen möchtet, könnt ihr entweder auf die Seite gehen www.vielfaltimfilm.de oder könnt auch direkt schreiben an vielfaltimfilm@citizensforeurope.org nochmal vielfaltimfilm@citizensforeurope.org.

Yugen Yah [01:01:01] Dann bleibt uns eigentlich gar nicht mehr soviel zu sagen. Wir hoffen, dass sie einen schönen Abend habt, dass ihr etwas mitgenommen habt und natürlich genau wie alle anderen auch schon gesagt haben, wünschen wir uns einfach eine vielfältige Filmlandschaft und ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.

Susanne Braun [01:01:15] Ein herzliches Dankeschön auch nochmal an die beiden Dolmetscherinnen Sabrina uns Svea für die Übersetzung.

Was ist eigentlich New Queer German Cinema? 

Allgemein gesprochen werden unter dem Label Queer Cinema Inhalte von, mit und/oder über queere Personen gefasst. Als queer lassen sich Lebensweisen bezeichnen, die gesellschaftlich genormte Kategorien und Identitätsentwürfe hinterfragen und sich selbst nicht als festgeschrieben, sondern fluide begreifen; dies schließt sich als lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter identifizierende Personen mit ein. Für die positive Umbesetzung des zuvor negativ behafteten Begriffs sorgten Aktivist*innen in den 1980er Jahren. 

Hollywood, die 1990er und ein New Queer Cinema 

Nachdem queere Figuren und Filmpraxen die längste Zeit lediglich auf subtile Art nach Außen gedrungen waren – Star- und Fankulturen holten Darstellungen von Queerness, die aufgrund des Hays Code nicht zugelassen wurden,  hervor – setzte das New Queer Cinema der 1990er Jahre radikalere Erzählweisen um: Mit diesem Begriff bezeichnete die Filmwissenschaftlerin B. Ruby Rich eine Reihe von US-amerikanischen Filmen, die selbstreflektiv queere Geschichten erzählten. Diese brachen meist mit  glatten, positiven Darstellungen queerer Charaktere, um an ihre Stelle vielschichtigere, kantigere zu setzen. Als gemeinsames Merkmal stellte sie deren Zugang fest, etablierten Erzählmustern abzusagen und Queerness explizit zu thematisieren. Die Filme des New Queer Cinema hatten oft einen rebellischen Geist; sie waren Teil der Independentszene und feierten Festivalauftritte etwa am Sundance, erreichten aber über diese Nische hinaus noch keinen Mainstream. My Private Idaho von Gus Van Sant (1991) oder The Watermelon Woman von Cheryl Dunye (1996), Filme von Gregg Araki, Bruce la Bruce, Derek Jarman, Todd Haynes, Rose Troche lassen sich beispielhaft nennen. 

Bild aus "The Garden" von Derek Jarman | Foto: Liam Daniel – BasiliskCommunications – EditionSalzgeber
Bild aus „The Garden“ von Derek Jarman | Foto: Liam Daniel – BasiliskCommunications – EditionSalzgeber

Diese erste Welle verebbte noch in den 1990ern und erst in einer zweiten Welle im 21. Jahrhundert begannen queere Geschichten auch den Mainstream zu erreichen, z.B. durch Brokeback Mountain (Ang Lee, USA 2005), Transamerica (Duncan Tucker, USA 2005), The Kids Are Alright (Lisa Cholodenko, USA 2010) oder Carol (Todd Haynes, USA 2015). Die kompromisslose, radikalere Haltung der 1990er wich dem Einfluss dominanterer Erzählweisen: LGBTQI-Identiäten werden darin v.a. einer Mehrheitsgesellschaft erklärbar gemacht und suchen in erster Linie nach Akzeptanz. Dies begünstigt zwar oberflächliche Figurendarstellungen, andererseits erreichen diese Geschichten mit ihrer Herausforderung traditioneller, binärer Genderrollen und Genrekonventionen aber auch ein breiteres Publikum. Nicht zu vergessen ist dabei allerdings, dass diese Filme nur vereinzelte Beispiele sind und queere Geschichten, v.a. über schwule Lebensrealitäten hinaus, damals wie heute im Fernsehen, Streaming und Kino immer noch stark unterrepräsentiert sind.  

Queere Filmwellen und Bewegungen in Deutschland 

In Deutschland prägten queere Inhalte bereits seit der Weimarer Zeit die Filmlandschaft: z.B. Anders als die Andern (Richard Oswald 1919) – der als „world’s first homosexuell emancipation film“ gelten kann (Literatur siehe unten) oder Mädchen in Uniform (Leontine Sagan 1931). Die Filme dieser Zeit brachen bewusst mit den stereotypen Figurendarstellungen schwuler und lesbischer Charaktere wie Hollywood sie stets einsetzte (z.B. Tropen wie „der lustige Transvestit“ oder „die femme fatale“). 

Das ein paar Jahrzehnte später folgende German Queer Cinema stand eng in Zusammenhang mit dem Neuen Deutschen Film ab den 1960ern, in dem Rainer Werner Fassbinder besonders prominent war. Das deutsche queere Kino der 1970er und 1980er nahm keine beschwichtigende Haltung gegenüber dem heteronormativen Mainstream ein, sondern zeigte sich radikal innovativ wie auch das US-amerikanische New Queer Cinema. Rosa von Praunheim (z.B. Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt, BRD 1971), Werner Schröter, Monika Treut, Ulrike Öttinger sind zu nennen; experimenteller arbeiteten Michael Brynntrup, Ursula Pürrer und Hans Angela Schierl. Einige von ihnen waren bzw. sind bis in die 1990er und darüber hinaus aktiv.  

Ein Neues Queeres Deutsches Kino: bloßes Label oder neue Bewegung? 

Heute ließen sich deutsche Filme wie Futur Drei (Faraz Shariat 2020), Kokon (Leonie Krippendorff 2020) und Neubau (Johannes Maria Schmitt 2020) mit dem Label eines New Queer German Cinema betiteln – worüber wir auch in Episode 91 sprechen. Diesen Filmen einer neuen Generation von Filmemacherinnen sind zugängliche Erzählweisen gemeinsam, die LGBTQI nicht mehr in erster Linie als Coming-Out Geschichten oder Konflikt zwischen Generationen problematisieren, sondern fluidere Identitäten entwerfen, positive Stimmungsbilder schaffen und intersektionale Ansätze sichtbar machen. Ebenso die Überlegung wie Queerness mit einer gewissen Beiläufigkeit erzählt werden kann, scheint diese Filmemacherinnen begleitet zu haben – auch darüber sprechen wir in unserer Episode mit Skaid Loist, Paulina Lorenz und Kai Spieck

Film Futur Drei | Regie: Faraz Shariat | Foto: Salzgeber
Film Futur Drei | Regie: Faraz Shariat | Foto: Salzgeber

Ähnliche Zugänge lassen sich auch – aber leider nur vereinzelt – in Serien wie z.B. Sex Education (Netflix, seit 2019) finden. Transparent (2014-2019), Pose (seit 2018) und Little Fires Everywhere (2020) haben über Streaming-Plattformen ebenso Erfolge gefeiert und es bleibt zu hoffen, dass auch im deutschsprachigen Raum viele queere Stimmen laut werden und dabei nicht stets miteinander verglichen oder in eine Label- oder eine Genrebezeichnung gepresst werden zu müssen. 

Let’s talk about it:

Schreibt uns in den Kommentaren gerne, welche queeren Filme ihr empfehlen könnt oder welche Queer Cinema Bewegungen in anderen Ländern euch geläufig sind. Was tut sich etwa in Argentinien (z.B. End of the Century von Lucio Castro, 2019) oder Kenia (z.B. Rafiki von Wanuri Kahiu, 2018)?  

Berichtet uns außerdem von euren eigenen Projekterfahrungen: Wie geht ihr mit dem Labeling als „queer“ um? Wie könnte die Repräsentation von queeren Charakteren eurer Meinung nach gesteigert werden? 

Wir sind gespannt und freuen uns auf Austausch! 

Literatur:

  • Brunow, Dagmar & Simon Dickel (Hg.), Queer Cinema, Mainz: Ventil 2018.
  • Juett, JoAnne C., & David Jones (Hg.), Coming out to the mainstream: New queer cinema in the 21st century, Cambridge Scholars Publishing 2010. 
  • Kuzniar, Alice A, The queer German cinema, Stanford University Press 2000. 
  • Rich, B. Ruby, New Queer Cinema : The Director’s Cut, Durham [u.a.]: Duke Univ. Press, 2013.

Weitere Episoden/Links:

Filme im Titelbild: Futur Drei (Faraz Shariat 2020) ©Salzgeber, Kokon (Leonie Krippendorff 2020) ©Salzgeber und Neubau (Johannes Maria Schmitt 2020) ©Salzgeber

Podcast
01:06 STUNDE
29. Oktober 2020

Vielfalt im deutschsprachigen Film

Die Sichtbarkeit von queeren Geschichten im Film

Diversität im deutschsprachigen Film – Wo stehen wir und was muss passieren, damit unsere kreative und international agierende Filmbranche vor und hinter der Kamera diverser wird? Im Rahmen der Umfrage: „Vielfalt im Film“, die das Thema „Diversität in der deutschsprachigen Filmszene“ behandelt, haben auch wir uns diese Frage gestellt.

In dieser Folge beschäftigen wir uns mit dem Thema des „Neuen deutschen Queeren Films“ und versuchen gemeinsam mit unseren Gästen Regisseur und Queer Media Society Initiator Kai S. Pieck, Produzentin und Autorin Paulina Lorenz und Prof*in Dr. Skadi Loist zu ergründen, wie sich die Wahrnehmung für den Queeren Film in den letzten Jahrzehnten verändert hat und wieso es bis heute noch immer so schwierig ist schwule, lesbische und jede Art von Queeren Geschichten mit einem größeren Budget umgesetzt zu bekommen. In dem Gespräch schauen wir uns zusätzlich die Arbeit von Paulina Lorenz und ihrem Team bei der Produktion zu ihrem neuen Film „Futur Drei“ an, reden über die Repräsentanz von Queeren Menschen in Filmen und reden darüber was passieren muss um auch hier für Gleichberechtigung und Möglichkeiten für die Filmschaffenden zu sorgen.

Die Gäste:

Paulina Lorenz
Produzentin, Autorin
Webseite Produktionsfirma Jünglinge – LINK
Spielfilm „Futur Drei“ – LINK

Profin Skadi Loist
Juniorprofessorin für Produktionskulturen in audiovisuellen Medienindustrien
Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF – LINK

Kai S. Pieck
Regisseur/Autor
Webseite – LINK
Queer Media Society – LINK
Vielfalt im Film Umfrage – LINK

Noch mehr zum Thema Vielfalt und Diversität haben wir hier für euch

Titelfoto von Futur Drei © Edition Salzgeber

Podcast
43 MINUTEN
1. Oktober 2020

Vielfalt im deutschsprachigen Film

– Was Filmförderungen dazu beitragen können –

Diversität im deutschsprachigen Film – Wo stehen wir und was muss passieren, damit unsere kreative und international agierende Filmbranche vor und hinter der Kamera diverser wird? Im Rahmen der Umfrage: „Vielfalt im Film“, die das Thema „Diversität in der deutschsprachigen Filmszene“ behandelt, haben auch wir uns diese Frage gestellt.

In den bereits erschienenen Folgen „Ein Blick auf die Vielfalt in der Filmszene“ vergleichen wir Ist- und Soll-Zustand. Außerdem überlegten wir, wie eine Plattform geschaffen werden kann auf der vielfältige Geschichten aus unserer Gesellschaft erzählt werden können.

Neben der Frage, was jede*r Einzelne von uns tun kann, ist auch der Blick auf die Filminstitutionen, wie die Filmförderungen, zu richten. Länder, wie England (BFI – Diversity Standards seit 2011) und Schweden (50/50-Modell seit 2016) zeigen uns, wie mehr Vielfalt im Film entstehen kann, wenn das Thema zusätzlich institutionell angegangen wird. Sind „Diversity Standards“ wie aus England auch bei uns umsetzbar?

„Die Filmbranche hat die Verantwortung und auch Chance, unsere Alltagsumgebung und die vielfältige Gesellschaft in ihrer Diversität abzubilden, ohne in Klischees zu verfallen oder unbewusste Vorurteile zu bestätigen.“ – Helge Albers, Geschäftsführer der FFHSH

Um den Film aus Deutschland „bunter werden zu lassen“ geht die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein mit ihrer im Juni 2020 eingeführten „Diversitäts-Checkliste“ erste Schritte in diese Richtung. Die Checkliste soll die Filmschaffenden und Produzent*innen zu einem bewussteren Umgang mit dem Thema Diversität bringen und dafür sorgen, dass Filmproduzent*innen ihr Handeln und ihre Entscheidungen beim Thema Vielfalt überprüfen, bevor sie eine Förderung beantragen. Diese „Diversity-Checkliste“ muss mit dem Förderantrag abgegeben werden und wird dem Gremium für den Auswahlprozess vorgelegt. In unserem heutigen Gespräch reden wir mit Helge Albers, Geschäftsführer von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein. Wir sprechen über die Aufgaben von Filmförderanstalten bei der Vielfalt im Film. Beim Gespräch schauen wir uns die „Diversitäts-Checkliste“ der FFHSH an und reden über die Wichtigkeit der Auswahl eines diversen Entscheidungs-Gremiums.

Weiterführende Informationen:

Diversitäts Checkliste Hamburg Schleswig-Holstein – LINK

BFI (British Film Institut) – Mehr zu den Diversity Standards – LINK

SFI (Schwedisches Film Institut) – Mehr zum 50/50-Modell – LINK

Ähnliche Folgen:
#61 | Diversität im Film: Noch immer ein Mythos?
#62 | Diversität im Film: Eine Podcast Sonderfolge
#84 | 1 – Vielfalt und Gleichberechtigung in der Filmszene
#84 | 2 – Vielfalt und Gleichberechtigung in der Filmszene

Beitrag
10. August 2020

Diversität in Film und Medien 

Wie viele komplexe Protagonist*innen, die keine weißen, heterosexuellen, able-bodied, cis-Männer sind, fallen euch spontan ein? Diversität im Film?

© Rachel Idzerda for Variety

Die westliche Filmproduktion und ihr Kanon großer Meister ist seit jeher auf weiße, männliche als vermögende konzipierte Helden fokussiert. People of Color, disabled persons, Frauen, ältere Personen machen noch immer einen weit geringeren Teil der repräsentierten Filmfiguren aus. Ein Inklusions- und Diversitätsbericht der University of Southern California enthüllte 2018 anhand von 1100 Filmen deutliche Defizite, drastische Zahlen stellte auch die Writers Guild of America fest. In Deutschland zeigte z.B. – v.a. die Frage der Geschlechtergerechtigkeit betreffend die Malisa Stiftung große Lücken auf (mehr dazu bei der Filmlöwin). Eine umfassendere Umfrage zu Vielfalt und Diskriminierung vor und hinter der Kamera im deutschsprachigen Raum – „Vielfalt im Film“ – ist zur Zeit im Gange. 

Vormachtstellung vs. Diversität 

Medienangebote vernachlässigen vielfach diversere Perspektiven und erklären so die dominierende Erzählweise als natürlich und gesellschaftlich repräsentativ. Davon abweichende Narrative und Figuren werden an den Rand gedrängt, marginalisiert. Doch abgesehen davon, dass die gegenwärtige mediale Repräsentation nicht der real existierenden Diversität entspricht, sollte gerade das Medium Film seinem Publikum auch mögliche Welten näher bringen, einen Bildungsauftrag erfüllen – wie auch Sheri Hagen in unserer Episode zur Diversität erklärt.

Zwar gibt es ansatzweise Regelungen, die eine Veränderung der gegenwärtigen Zustände anstoßen sollen, doch stehen wir hier noch weit am Anfang. Bisher sind US-amerikanische Studios und Streaminganbieter sowie der BFIfederführend. Aktionen wie #oscarssowhite oder #whitewashedOUT kritisierten etwa die weiße Vormachtstellung der Academy – kein exklusiv US-amerikanisches Phänomen, im Gegenteil, denn die deutschsprachige Filmindustrie ist genauso wie andere Bereiche der Gesellschaft durchzogen von strukturellen Rassismen und anderen, sich teilweise überschneidenden Diskriminierungsformen, die Teil des Systems sind (Stichwort Intersektionalität).  

Whose gaze is it? 

Mit der Frage danach, wer eine Stimme und ein Gesicht erhält, ist untrennbar die des Identifikationsangebots verbunden. Dass das Fehlen von ermächtigenden role models nicht zuletzt negativen Einfluss auf die Ausbildung des Selbtswertgefühls marginalisierter Menschen nehmen kann, ist fatal (Studie von Yang 2017).

Ausgehend von der Kritik feministischer Filmtheoretikerinnen am patriarchalen male gaze in den 1970er Jahren, bekam bald darauf auch die Thematisierung weiterer, mehrfacher Diskriminierungsformen Aufmerksamkeit. So beschrieb bell hooks 1984mit dem oppositional gaze die Position Schwarzer Zuseherinnen in einer weißen, patriarchalen Mehrheitsgesellschaft. Anne Kaplan kritisierte mit dem imperial gaze die Blickgewohnheitendes Hollywood-Kinos, das durch seinen werte-geladenen Blick den/die Betrachteten ethnischer Minderheiten degradiert.

Die Trope des „male negro“ lässt sich als ein Effekt solcher Verfahrensweisen entlarven. Die in den letzten Jahren häufig verwendeten Begriffe female gaze, sowie der noch weniger bekannte queer gaze beschreibenErzählweisen, die sich explizit gegen den heteronormativen male gaze richten. Das Potenzial einer Vielfalt an Perspektiven ist zweifelsohne da, die Frage ist aber: Welche Geschichtenerzähler*innen werden  letzten Endes gefördert – mit unseren Steuergeldern? Hier zeigt sich der deutschsprachige Raum noch viel zu einseitig.

© Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

„Diversität ist keine Checkliste“

Studien und Forschungen, die Fakten und Zahlen über die Repräsentationslage liefern, können dazu verhelfen, Richtlinien und Kriterien in Institutionen, Fördergebern und Gremien einzufordern. Nur Quoten allein lösen das Problem  aber nicht, denn „Diversität sollte keine Checkliste sein“, kritisiert Jerry Kwarteng solche Strategien (nachzuhören in Teil zwei unserer Episode). Es kommt nicht nur darauf an, wie viele diverse Charaktere in einem Film durchs Bild laufen, sondern welche und wie viele davon auch Figurenentwicklungen durchmachen und wesentlich für die Erzählung sind – und zwar abseits von Narrativen, die Migration explizit thematisieren und so wieder Othering-Dynamiken festigen.

Doch der Besetzungspolitik wohnt in dieser Hinsicht meist noch ein Tunnelblick inne.  Jede*r Filmschaffende*r sollte sich überlegen, ob er oder sie bei der Auswahl des Casts eine limitierende Brille (unconscious bias) trägt, die Merkmale, wie eine nicht-weiße Hautfarbe von vornherein ausschließt (Stichwort Typecasting). Auch als Publikum sollten wir unsere eigene Wahrnehmung schulen, unsere Bias reflektieren und Filme unterstützen – sei es nur durch deren Rezeption – die sich von Diskriminierungsformen befreien. Denn: All Stories matter.

Indiefilmtalk – Epsioden zum Thema: 

Weiterführende Links:

Gleichberechtigung in der deutschsprachigen Filmszene

Teil II

Diversität und Vielfalt und Gleichberechtigung im deutschsprachigen Film – Wo stehen wir bei diesem Thema, welches auf der einen Seite so klar und selbstverständlich für eine kreative und international agierende Filmbranche wie unserer sein sollte, aber auf der anderen Seite scheinbar bis heute, im Jahr 2020, noch immer nicht zum Alltag gehört?

Dieses Thema ist definitiv nicht neu. Es ist aber eine Diskussion, die wichtig ist, um dafür zu sorgen, dass auch wir in Deutschland Geschichten erzählen können, die alle Filmschaffenden und die gesamte Gesellschaft abbilden. Besonders sichtbar wird das Thema aktuell durch die Situation in den USA und der daraus resultierenden „Black Lifes Matter“ Bewegung und zeigt uns, dass auch wir in Deutschland im Bereich Diversität noch einiges zu tun haben.

In dem zweiten Teil der Diversitätsfolge reden wir mit der Produzentin Nataly Kudiabor über die Aufgabe von Produzenten und Produzentinnen bei der Diversitätsthematik, reden mit Schauspieler Jerry Kwarteng über das Problem mit dem Typecasting in Deutschland und wie man dieses ändern könnte um für einen diversen Cast vor der Kamera zu sorgen. Zusätzlich reden wir mit Jonas Karpa von den Leitmedien über die Repräsentanz von Beeinträchtigten im und beim Film und reden zu guter letzt mit Juan und Kwesi von Citizen For Europe über die Umfrage „Vielfalt im Film“ die mit einer großen Studie Licht ins dunkeln zum Thema Diversität in der Film und Fernsehlandschaft in den nächsten Monaten bringen soll.

Hinweis: Diese Folge wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit in zwei Teile aufgeteilt. Die erste Folge findet ihr über iTunes, Spotify, bei jeder Podcast-App und hier auf der Webseite.

Gäste in der Folge:

Gäste v.L.: Schauspielerin Benita Sarah Bailey, Drehbuchautor Robert Hummel, Filmemacherin Sheri Hagen
Gäste v.L.: Nataly Kudiabor, Jerry Kwarteng, Joshua Kwesi Aikins, Juan Vivanco

Nataly Kudiabor
Produzentin
Crew United – LINK
Ganzes Gespräch (Download):

Jerry Kwarteng
Schauspieler
Agentur – LINK
IMDB – LINK
Ganzes Gespräch (Download):

Jonas Karpa
Autor bei Leidmedien
Webseite – LINK
Ganzes Gespräch (Download):

Joshua Kwesi Aikins
Senior Research Scientist
Webseite – LINK

Juan Vivanco
Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Citizen for Europe)
Webseite – LINK

Ganzes Gespräch Citizen for Europe (Download):

Weitere Gäste:

Ein besonderer Dank geht an alle die uns Ihre Meinungen und Gedanken zu dem Thema als Beitrag zugeschickt haben

Bianca Twagiramungu
Schauspielerin

Christiane Dorandt
Schauspielagentin
Webseite – LINK

Süheyla Schwenk
Regisseurin
Webseite – LINK

Petr Eremin
Regisseur
Webseite – LINK

Anna Kohlschütter Regisseurin
Crew United – LINK

Weitere Informationen Rund um die Folge:

  • Umfrage zum Thema Vielfalt im Film – Zusätzlich wollen wir noch auf die Umfrage „Vielfalt im Film“ hinweisen, welche die größte Umfrage zum Thema Diversität im deutschsprachigen Film ist und seit dem 18.07.2020 mit der Unterstützung von uns Filmschaffenden und Institutionen wie CrewUnited, Filmuniversität Babelsberg, ProQuote Film und vielen weiteren handfeste Zahlen zu dem Thema liefern möchte, um mit diesen stichhaltigen Informationen an Lösungen arbeiten zu können. Hauptverantwortlich für die Umfrage ist die zivilgesellschaftliche Organisation „Citizen for Europe“. Also unbedingt bei der Umfrage mit machen. Mehr Infos gibts auf der Homepage: http://www.vielfaltimfilm.de
  • Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein – Die Diversitäts Checkliste – LINK
  • British Filminstitut Diversitystandard – LINK
  • British Filminstitut Diversitystandard guidelines – LINK

Mehr zum Thema Gleichberechtigung gibt es hier

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