Das Theater als flüchtige Kunstform sowohl auf der klassischen Guckkastenbühne als auch in Formen des immersiven Theaters, der Performance, des Straßentheaters, des Tableaux vivants … Es gibt unendlich viele Formen und Facetten, wo, wie und mit wem Theater konstruiert wird. Seit Ende des 19. Jahrhunderts erwacht der Film – das Bewegtbild. Seit es den Film gibt, gibt es das Bestreben, diese beiden Kunstformen zusammenzuführen. Schon früh wird der Film als Medium geschätzt, welches aufgrund der visuellen Wirkung das intensive Erleben von Theateraufführungen verstärkt. Der Einsatz von Projektionen als Zwischenfilme nutzen schon der US-amerikanische Regisseur David Wark Griffith sowie der französische Illusionist und Theaterbesitzer Georges Méliès. Erstmals in Deutschland integrierten die Gebrüder Wolf einen Einspielfilm als Prolog eines Theaterstücks im Jahre 1911. Später folgten Regisseure wie Erwin Piscator an der Volksbühne in Berlin mit “Trotz alledem!” oder “Das trunkene Schiff”. Oder heute Thomas Ostermeier mit “Hamlet” an der Schaubühne in Berlin. Nach Piscators Aussagen dienen die Filmprojektionen zur “Intensivierung des dramaturgischen Ausdrucks“.
Erwin Piscator ging sogar so weit, dass er ein eigenes Theaterhaus aufkaufte und großzügig umbaute, um bestmöglich den Film in seine Theaterstücke als festen Bestandteil zu implementieren. Der Film sollte nicht mehr nur Beiwerk sein, sondern mit dem Theater zu einer neuen Kunstform verschmelzen. Der begrenzte Raum der Guckkastenbühne soll mithilfe des Films zum “vierdimensionalen Theater” gesprengt werden. Die beeindruckenden Bilder sollen somit eine Brücke schlagen zwischen Bühnenraum und Zuschauerraum. Doch dafür benötigt er eine ganz neue Architektur, die dieser Aufgabe gerecht wird.
Zusammen mit Walter Gropius plant er später das sogenannte Totaltheater. Dieses kuppelförmige Gebilde soll im Inneren mit einer aufwendigen mobilen Bühne und 15 Projektoren ausgestattet werden. Die Projektoren sollen die Kuppel von innen mit diversen Filmen bestrahlen und so das Theaterspektakel filmisch verfeinern. Das Theater wurde aus finanziellen Gründen nie gebaut – doch was wäre wenn?
Thomas Ostermeier, Regisseur des gegenwärtigen Theaters, nutzt den Film nicht nur als Einspieler oder Stimmungsprojektion, sondern verwendete Live-Kameras, mit denen die Protagonisten auf der Bühne spielen. Die Zuschauer*innen erhalten die Live-Aufnahme der Schauspieler*innen im Großformat auf der Leinwand und bekommen das Gefühl, direkt vor Hamlet zu stehen, wenn dieser – gespielt von Lars Eidinger – seinen “Sein-oder-nicht-Sein- Monolog“ zum Besten gibt.
Von filmischer Seite gab und gibt es ebenfalls das Bestreben, theatrale Elemente in den Film zu betten. “Dogville” von Lars von Trier, bei dem das komplette filmische Geschehen auf einer kargen Theaterbühne in Szene gesetzt wird. Oder “Blind Date“, bei dem Anke Engelke und Olli Dittrich mit komplett improvisierten Charakteren in verschiedenen Räumlichkeiten aufeinandertreffen und frei von der Leber weg spielen, was ihnen in den Sinn kommt.
Es gibt unzählige Beispiele aus der Geschichte und der heutigen Zeit, wo immer wieder Versuche gestartet werden, diese beiden so unterschiedlichen Kunstformen zusammenzuführen. Und dennoch scheint dieser Versuch stets ausgefallen. Was wäre, wenn Theater und Film auf diversen Ebenen öfter und viel selbstverständlicher miteinander verbunden werden würden? Welche Auswirkungen hätte dies auf unsere Form des Geschichtenerzählens? Wie gut besucht wären Kinos und Theaterhäuser dieses Landes, wenn es mehr Mut zum Experimentieren gäbe?
Unsere drei Gäste sind alle Expert*innen im Verweben von filmischen und theatralen Elementen. Eine improvisierte Fernsehserie hier, ein Live-Mitschnitt einer Theateraufführung dort und ein Publikum, das sich in einem immersiven Social-Media-Event wiederfindet.
Jan Georg Schütte (Regisseur, Schauspieler & Drehbuchautor) steckt nun schon mitten in der Postproduktion der zweiten Staffel seiner improvisierten Mini-Serie “Das Begräbnis”. Auf dem Hauptsetting, einem Hof in Mecklenburg-Vorpommern, rotieren 56 Kameras und 19 Schauspieler*innen. Mit je einer eigenen, sehr detaillierten Charakter-Biografie und einzelnen Handlungsaufgaben, sind die Schauspieler*innen ausgestattet. Hier trifft die Improvisationskunst aus dem Theater auf das serielle Erzählen für’s Fernsehen.
Cosmea Spelleken (Regisseurin) entwickelt in der Pandemie Werther.Live. Das Theaterstück im Social Media Anzug kommt zu den Zuschauer*innen nach Hause. Jedes Mal Live gespielt interagieren die Protagonist*innen von Werther zwischen Instagram-Post’s, Skype-Video-Anrufen und Chat-Verläufen. Dies alles wird über ein sogenanntes Screencatching im Hintergrund aufwendig geführt und dem Publikum ausgespielt. Das Ergebnis ist ein intensives Mitfühlen und hoffen bis zuletzt, dass Werther nicht so endet, wie wir es im Deutschunterricht zuletzt erlebt haben.
Nazgol Emami (Regisseurin & Videodesignerin) begleitet diverse Theater- und Fernsehproduktionen und wird während der Pandemie als Regisseurin für den Live-Mitschnitt des Theaterstückes „Früchte des Zorns” von Schauspiel Köln angefragt. Gesagt, getan! Doch was braucht es, um ein Theaterstück raffiniert für das Medium Film in Szene zu setzen – ohne abgefilmt zu wirken? Auf jeden Fall mehr als zwei Standkameras. Mit einem gut durchdachten und unkonventionellen Konzept macht sie sich ans Werk und beschert dem Publikum einen neuartigen Zugang zum Medium Theater.
Cosmea Spelleken (Regisseurin), Jan Georg Schütte (Regisseur, Schauspieler & Drehbuchautor) und Nazgol Emami (Regisseurin & Videodesignerin) sprechen über ihre Projekte, Erfahrungen und Wünsche für die Zukunft.
Cosmea Spelleken
Regisseurin
Staatstheater Nürnberg – LINK
Jan Georg Schütte
Regisseur, Schauspieler & Drehbuchautor
Webseite – LINK
Nazgol Emami
Regisseurin & Videodesignerin
Crew United – LINK
Webseite – LINK
Weiterführende Links
Blind Date (Mediathek) – LINK
Das Begräbnis (Trailer) – LINK
Schauspiel Köln (Webseite) – LINK
Werther.Live (Trailer) – LINK
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„Wenn wir uns nicht die Mühe machen, die junge Generation auch mit fiktionalen Formaten zu erreichen, dann verlieren wir das Publikum von morgen.“
Helga Löbel – Produzentin
Die Produzentin Helga Löbel begleitet und realisiert Kinder- und Jugendserien, wie KALTSTART (KIKA), SPOTLIGHT (Nickelodeon) oder IRGENDWAS MIT MEDIEN (mdr). Für das Publikum von morgen neue Serienformate zu produzieren ist für die Produzentin eine wichtige Angelegenheit. Innovative Formate zu entwickeln, haben für sie einen ganz besonderen Kick! Dass es aber ein langer Weg ist, neuartige Serienformate für diese eher kleine Zielgruppe zu entwickeln, erklärt sie uns an ihren vielfältigen Produktionen.
Helga Löbel spricht mit uns über die produktionellen Herausforderungen und Chancen von Young-Adult-Formaten sowie bei Kinder- und Jugendserien. Welche Bedingungen gilt es zu beachten? Was muss sich ändern und wo dürfen Sender und Produktionsfirmen mutiger und vor allem geduldiger sein für den „Long Run“?
„Ich wünsche mir den Mut, langfristig in regionale Programmmarken zu investieren, gerade im Young-Adult-Bereich!“
Helga Löbel – Produzentin
Die KIKA-Serie KALTSTART, die nun schon in der 6. Staffel befindende Jugendserie SPOTLIGHT von Nickelodeon und Paramount+ oder das Young-Adult-Format IRGENDWAS MIT MEDIEN vom mdr sind tatsächlich Leuchtturmprojekte, denn fiktionale Produktionen im Kinder- und Jugendbereich zu realisieren ist nicht leicht. Denn die möglichen definierten Alterszielgruppen sind sehr klein und daher aus wirtschaftlicher Sicht schwer zu fassen. Die diversen Alterszielgruppen sind aus entwicklungspsychologischen Gründen sehr differenziert definiert (ab 4, ab 6, ab 8, ab 10, ab 12 Jahren usw.), und bilden daher im Gegensatz zum Erwachsenenbereich eine eher kleine potenzielle Zuschauerzahl. Nach Helga Löbel kann sich ein neuartiges Kinder- oder Jugendformat demnach nur etablieren, wenn es langfristig gedacht wird, um überhaupt als Marke heranwachsen zu können.
Neben dem differenzierten Audiencebuidling, braucht es schon in der Entwicklungsphase viel Geduld, bis es tatsächlich zur Realisierung kommt. Häufig bleiben viele Projektideen auf der Strecke. Wenn es dann endlich zum Dreh kommt, gibt es andere Herausforderungen, die es zu meistern gilt.
Denn die zeitlichen Rahmenbedingungen für Kinder- und Jugendserien sind straff. Für den klassischen Krimi werden pro Drehtag ca. 5 Minuten Material angesetzt. Bei Kinderserien, wie zum Beispiel bei KALTSTART sind es ganze 11 Minuten. Gerade Formate, die mit innovativen Erzählweisen neu an den Markt gehen, haben es schwer und werden anders budgetiert als etablierte Formate. Helga fand mit ihrem Team dennoch clevere Wege, die Drehtage so zu strukturieren, dass der Dreh für alle gut zu bewerkstelligen ist. Ein wichtiges Schlüsselelement hierbei ist der Dreh an einer Location. Dies hat sich sowohl bei KALTSTART als auch bei SPOTLIGHT bewährt. Die Proben und der Dreh aller Szenen, alles findet an einem Ort statt. Dies hat natürlich für Cast & Crew mehrere Vorteile, wie beispielsweise kurze Kommunikationswege oder die Vermeidung von größeren Umzügen mit Crew, Cast und Equipment. Mit dieser Strategie drehten sie bei SPOTLIGHT auch gerne mit vier Teams parallel.
Hinweis: Die Folge wurde schon im September 2022 aufgenommen.
Helga Löbel | Produzentin, UFA Serial Drama
Crew United – LINK
KALTSTART (1. Folge) – LINK
SPOTLIGHT (Staffel 3 – Trailer) – LINK
IRGENDWAS MIT MEDIEN (Trailer) – LINK
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