Kuratierung von Filmfestivals als gesellschaftliche und politische Aufgabe
Filmfestivals bringen Menschen zusammen und bieten eine Plattform, um aktuelle gesellschaftliche und politische Fragen zu thematisieren. Doch wie werden die Filme ausgesucht? Wer entscheidet welche Filme vorankommen und welche nicht? Und vor allem, an welchen Kriterien orientiert man sich bei der Entscheidung? Diese und ähnliche Fragen drängen sich auf, wenn es um die Planung und Organisation von Filmfestivals geht. Mit ihrer Beantwortung geht auch eine große gesellschaftliche Verantwortung einher. Insbesondere dann, wenn das Festival sich auch mit aktuellen internationalen Konflikten und Kriegen auseinandersetzt, die hierzulande stark im Fokus stehen. Dies stellt vor allem die Veranstalter*innen und Programmkurator*innen vor besondere Herausforderungen.
Vor diesen Herausforderungen sieht sich auch unser heutiger Gast, Victoria Leshchenko. Sie ist Koordinatorin der Dokumentarfilmwettbewerbe bei DOK Leipzig und erzählt uns, wie sie und ihr Team die Programmgestaltung des Festivals angehen. Das Gespräch wurde auf Englisch geführt.
Mehr Offenheit für Veränderung in der deutschen Festivallandschaft
Victoria Leshchenko ist nicht nur eine erfahrene Filmfestival-Koordinatorin, sie bringt auch einen wertvollen externen Blick auf unsere hiesige Festivallandschaft mit. Bevor sie nach Deutschland kam und für das DOK Leipzig tätig wurde, lebte sie in der Ukraine, wo sie unter anderem als Kuratorin für das Docudays UA, das Internationale Menschenrechts-Dokumentarfilmfestival in Kiew, arbeitete. Dies ermöglicht ihr den Vergleich zweier sehr unterschiedlicher Festivallandschaften. So spricht sie zum Beispiel davon, dass deutsche Filmfestivals zwar gut organisiert und qualitativ hochwertig sind, jedoch wenig Offenheit für Veränderungen bieten würden. Häufig erlebt sie, dass Veränderungen und Innovationen nur langsam umgesetzt werden, während es in der Ukraine deutlich mehr Bereitschaft zur Veränderung gäbe.
Ratlosigkeit akzeptieren – Auf Krieg und Krisen gibt es keine einfachen Antworten
Auch wenn es darum geht, einen angemessenen Umgang mit sensiblen Themen zu finden, die starke Kontroversen auslösen können, bringt Victoria ihre Erfahrung ein. Als Ukrainerin und somit als jemand, dessen Heimat im Krieg ist, begreift sie die Komplexität, die ein solcher Konflikt für die Betroffenen haben kann. In Deutschland würde man immer nach klaren Antworten suchen und insgeheim den Wunsch haben, immer das Richtige zu tun. Was richtig oder falsch ist, ist für Viktoria keine Frage, die sich so einfach beantworten lässt. Im Gegenteil, die Prämisse, mit der sie ihre Arbeit angeht, ist die Erkenntnis, dass Filmfestivals nicht die Antworten auf komplexe Konflikte liefern können, auch nicht sollten – sie sollten zum einen Wissen vermitteln und zum anderen einen Raum für Austausch und Diskussion schaffen. Dadurch könne man Empathie fördern und das Bewusstsein für globale Probleme schärfen. Um dies zu tun bedarf es einer großen Expertise beim Auswahlkomitee der Filme und als Koordinatorin sieht sie es als ihre Aufgabe an, sich mittels Fachliteratur so intensiv und ausführlich wie möglich mit der Materie zu beschäftigen. Auch sei es wichtig, dass ein Filmfestival verschiedene Perspektiven zu einem bestimmten Thema anbietet und vielschichtige Narrative zulässt, um eine offene und vielfältige Diskussion anzustoßen.
Die heutige Folge ist in Kooperation mit shortfilm.de, dem Kurzfilm Magazin der AG-Kurzfilm entstanden und ist die zweite von insgesamt drei Folgen zum Thema “Festivals in Zeiten von Krisen, Krieg, Konfrontationen.” In der ersten Folge zu diesem Thema hatten wir mit Joachim Kurz gesprochen. Er ist Festival-Kurator sowie Herausgeber & Chefredakteur von Kino-Zeit. Den Link zur Folge findet ihr am Ende dieses Beitrags.
Unser Gast
Victoria Leshchenko | Kulturwissenschaftlerin und Festival-Koordinatorin
Sie ist Kulturproduzentin und Kuratorin und lebt in Berlin und Kiew. Nach ihrer Tätigkeit beim Molodist Kyiv International Film Festival begann sie 2010 als Programmkoordinatorin beim Docudays UA International Human Rights Documentary Film Festival, mit dem DOK Leipzig im vergangenen Jahr eng zusammenarbeitete. Seit 2019 war sie dort als Programmdirektorin tätig und kuratierte zahlreiche Sektionen des Festivals. Gemeinsam mit Yuliia Kovalenko gründete sie 2022 die Filmkurator*inneninitiative sloïk film atelier, die unterrepräsentierten Stimmen eine Plattform bietet und diese international fördert.
Hompage Docudays UA – LINK
Homepage Doc Leipzig – LINK
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