Filmfestivals: Räume für Dialog und Verständigung in Krisenzeiten
In Zeiten von Krisen und Kriegen trägt die Kulturbranche eine besondere Verantwortung, als Plattform für Dialog und Reflexion zu dienen, gesellschaftliche Konflikte sichtbar zu machen und zugleich Räume für Verständigung zu schaffen. Letzteres ist jedoch insbesondere in diesen angespannten Zeiten sehr schwer zu bewerkstelligen. Das hohe Konfliktpotenzial und die Unterschiedlichkeit der Positionen bei Themen wie dem Nahost-Konflikt oder dem Russland-Ukraine-Krieg lassen nur selten Raum für Kompromisse. Dennoch sehen sich zahlreiche Filmfestivals vor der Mammutaufgabe, diese Fragen nicht unbehandelt zu lassen und zugleich allen Betroffenen gegenüber respektvoll zu sein.
Darüber, wie Festivals mit diesem Thema umgehen können, sprechen wir heute mit Heleen Gerritsen, Leiterin des goEast Filmfestivals, und Daniel Sponsel, künstlerischer Leiter des DOK.fest München. Beide legen großen Wert auf die Schaffung eines Raumes für Dialog und berichten über die Herausforderungen und Unwägbarkeiten, die sie in den vergangenen Jahren erlebt haben.
Umgang mit geopolitischen Konflikten: Ein immerwährender Prozess
Für das goEast Festival stellten sich bereits wenige Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zahlreiche herausfordernde Fragen. Eine zentrale Überlegung war, ob russische Filme weiterhin gezeigt werden sollten und welche Filme genau als „russisch“ gelten. Diese Debatte war äußerst schwierig, da viele ukrainische Filmschaffende eine klare Distanzierung von allem, was russisch konnotiert ist, forderten. Gleichzeitig betonte das Festival seine Solidarität mit der Ukraine, was bei einigen in der Community das Gefühl verstärkte, nicht mehr willkommen zu sein. Heleen Gerritsen erklärt, wie schwer es ist, solche radikal unterschiedlichen Positionen in einem Raum zu vereinen.
Respektvolle Diskussionen: Die Rolle von Moderation und Konfliktmanagement
Daniel Sponsel betont in diesem Zusammenhang die enorme Bedeutung eines guten Konfliktmanagements bei Podiumsdiskussionen oder Publikumsgesprächen. Eine deeskalierende Moderation sei entscheidend, um Spannungen zu lösen, ohne neue zu schaffen. Sponsel berichtet von speziellen Workshops und Coachings, die sein Team im Umgang mit solchen Situationen vorbereitet haben. Eine respektvolle und sachliche Gesprächskultur ist dabei essentiell, um echte Verständigung zu ermöglichen.
Zusätzlich hebt Gerritsen hervor, wie wichtig es ist, auch Themen eine Plattform zu bieten, die weniger mediale Aufmerksamkeit erhalten, aber dennoch Gehör verdienen. So setzte das GoEast Festival in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf Albanien und Kosovo sowie auf queeres Filmschaffen in Osteuropa. In einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsökonomie oft dominiert, sei es essenziell, auch weniger beachteten Themen Raum zu geben.
Insgesamt sollte jedoch jeder Festivalveranstalter verstehen, dass sie nicht die Lösung für komplexe geopolitische Konflikte bieten können, sie jedoch als wichtige Plattformen für Diskussion und Verständigung fungieren. Ihre Arbeit zeigt, wie essentiell kulturelle Räume in schwierigen Zeiten sind, um den Dialog zu fördern und vielfältige Perspektiven sichtbar zu machen.
Die heutige Folge ist in Kooperation mit shortfilm.de, dem Kurzfilm Magazin der AG-Kurzfilm entstanden und ist die dritte von insgesamt drei Folgen zum Thema “Festivals in Zeiten von Krisen, Krieg, Konfrontationen.” In der ersten Folge zu diesem Thema haben wir mit Joachim Kurz gesprochen. Er ist Festival-Kurator sowie Herausgeber & Chefredakteur von Kino-Zeit. In der zweiten Folge gab es ein spannendes Gespräch in englischer Sprache mit Victoria Leshchenko, Festival-Koordinatorin von DOK Leipzig. Den Link zu den vorherigen Folgen findet ihr am Ende dieses Beitrags.
Unsere Gäste
Heleen Gerritsen | Leiterin, goEast Festival
Heleen, 1978 in den Niederlanden geboren, studierte Wirtschaft und Russisch. 2003 zog sie nach Berlin und arbeitete anschließend als Produktionsleiterin und Produzentin in Europa und Asien. Als freiberufliche Beraterin für Vertrieb und Verkauf betreute sie verschiedene Dokumentar- und Spielfilmprojekte. Von 2014 bis 2016 war sie die künstlerische Leiterin des dokumentART Filmfestivals. 2017 übernahm Heleen Gerritsen die Festivalleitung vom goEast Festival und ist damit nach Claudia Dillmann, Christine Kopf, Nadja Rademacher und Gaby Babić die fünfte Frau an der Spitze des Festivals. Ihr obliegt auch die künstlerische Leitung.
Homepage goEast – LINK
Daniel Sponsel | Künstlerischer Leiter & Geschäftsführer, DOK.fest München
Daniel Sponsel, geboren 1964 in Hamburg, studierte Fotografie an der HfbK Hamburg und Regie für Dokumentarfilm an der HFF München. Er ist Autor, Regisseur und Kameramann zahlreicher preisgekrönter Dokumentarfilme, darunter *Der letzte Dokumentarfilm*. Von 2002 bis 2009 war er künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HFF München und ist weiterhin als Dozent an verschiedenen Instituten tätig. Seit 2009 leitet er das Internationale Dokumentarfilmfestival München und erweiterte es um neue Reihen wie DOK.deutsch, DOK.guest und DOK.education. 2011 gründete er die Branchenplattform DOK.forum. Unter seiner Leitung verzeichnete das Festival 2019 mit über 52.000 Zuschauern den bisher größten Erfolg und etablierte sich als größtes Dokumentarfilmfestival Deutschlands.
Homepage DOK.fest München – LINK
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