Die Lichter gehen aus, das Publikum verstummt, und plötzlich erhellt die Leinwand den Saal – 600 Menschen erleben den magischen Moment einer Filmpremiere. In dieser Atmosphäre saßen die Filmschaffenden des Anti-Kriegsdramas Der Tieger am 15.09.2025 mit großer Aufregung und gespannter Erwartung im Kino.
Sieben Jahre vergingen von der ersten Idee bis zum fertigen Film. Allein anderthalb Jahre benötigten Regisseur Dennis Gansel und sein Team, um Amazon MGM Studios als Partner zu gewinnen und mit dessen Unterstützung in die Produktion des Kinofilms zu gehen. Im Gespräch mit Dennis Gansel und Editor Benjamin Kaubisch wird deutlich, wie entscheidend die enge Zusammenarbeit zwischen Regie und Schnitt für ein so umfangreiches und thematisch anspruchsvolles Projekt war.

Dreh und Schnitt in einer produktiven Wechselwirkung
Kennengelernt haben sich Daniel und Benjamin bei der Arebit an der Serie Das Boot. Schon damals zeigte sich, dass in engen Räumen mit kammerspielartigen Szenen jede Schnittentscheidung Gewicht hat. Nicht selten sind es die Editoren, die dramaturgische Brüche auffangen und Probleme im Drehbuch ausgleichen müssen. Umso wichtiger ist es, den Editor frühzeitig in den Prozess einzubinden.Bei den Dreharbeiten zu Der Tieger wurde das Material täglich gesichtet und unmittelbar in einen ersten Rohschnitt überführt. Bereits nach den ersten beiden Drehtagen konnten so wertvolle Rückmeldungen ans Set gegeben werden – ein Prozess, der half, schnell zu erkennen, was funktionierte und wo noch nachjustiert werden musste.
Die harte Realität im Schneideraum
Nach Abschluss der Dreharbeiten beginnt für den Editor die eigentliche Detailarbeit. Zunächst wird das gesamte Material gesichtet und zu einem ersten „Editor’s Cut“ zusammengeführt, der der Regisseur*in als Grundlage dient. Dabei entstehen Szenenfolgen, die aus Sicht des Editors funktionieren, zugleich aber auf die besondere Bildsprache und die zentralen Vorstellungen der Regie abgestimmt sind. Durch diesen ersten Aufschlag und die darauffolgende Austauschgespräche wird die Vision des Films Stück für Stück verfeinert.
Gerade in dieser Phase offenbart sich die Realität des Materials oft in aller Schonungslosigkeit. Bilder, die am Set gelungen wirkten, zeigen im Rohschnitt plötzlich ihre Schwächen. Genau hier setzt die konstruktive Arbeit zwischen Regie und Schnitt an, die filmische Kreation zu festigen und den Erzählfluss zu stärken.
Dramaturgie versus historische Genauigkeit
Bei historischen Stoffen stellt sich stets die Frage nach der Balance zwischen Authentizität und filmischer Gestaltung. Für Der Tiger war eine möglichst akkurate Darstellung zentral, abgesichert durch die Beratung von Historikern und Panzerexperten. Gleichzeitig mussten Entscheidungen getroffen werden, die das Erleben der Soldaten im Inneren des Panzers für das Publikum spürbar machen.
Ein prägnantes Beispiel dafür sind die Patronenhülsen, die im Film im Panzerboden erzittern. In Wirklichkeit landen sie in einem Sammelsack, doch der dramaturgische Effekt war notwendig, um die Anspannung und die Bedrohung durch den Gegner visuell zu verstärken. Solche Entscheidungen markieren die Gratwanderung zwischen faktischer Treue und filmischer Wirkung, die den Ton des gesamten Projekts prägt.
Die Auseinandersetzung mit Kriegsgrauen und Leichenszenen stellte darüber hinaus eine emotionale Belastung für die Beteiligten des Produktionsprozesses da. Gerade im Schnitt verlangte die Bearbeitung dieser Bilder Fingerspitzengefühl, um eine Balance zwischen historischer Verantwortung und erzählerischer Intensität zu wahren.
Publikum als letzter Schnittplatz
Am Ende entscheidet sich die Wirkung eines Films jedoch nicht allein am Schneidetisch, sondern im Austausch mit dem Publikum. Gemeinsame Sichtungen helfen dabei, Meinungen zu bündeln, Resonanzen zu vergleichen und zu erkennen, welche Szenen stärker wirken als zunächst erwartet. Erst in dieser kollektiven Wahrnehmung zeigt sich, welche filmischen Entscheidungen tragen und wo letzte Anpassungen sinnvoll sind.
Aber an dieser Stelle möchten wir euch ermuntern, das Ergebnis dieser spannenden Zusammenarbeit selbst zu bewerten, indem ihr den Film ab sofort im Kino schauen könnt.
Gäste
Dennis Gansel | Regisseur | LINK
Dennis Gansel ist ein deutscher Filmregisseur und Drehbuchautor. Er begann im Alter von 17 Jahren mit dem Filmen und studierte nach dem Abitur von 1994 bis 2000 an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Bekannt wurde er mit Filmen wie Mädchen, Mädchen (2001) und Napola – Elite für den Führer (2004), die ihm den Durchbruch als Regisseur verschafften. 2008 folgte Die Welle, die international große Aufmerksamkeit erhielt. Später inszenierte er unter anderem die Genrefilme Wir sind die Nacht (2010) und Mechanic: Resurrection (2016) mit Jason Statham.

Benjamin Kaubisch | Editor | LINK
Benjamin Kaubisch ist ein deutscher Filmeditor. Bekannt wurde er durch seine Arbeit an Rico, Oskar und der Diebstahlstein, dem ARD-Eventfilm Grzimek sowie dem Roadmovie 303. In den letzten Jahren verantwortete er den Schnitt weiterer vielbeachteter Produktionen, darunter die Serie Das Boot (2022–2023). Auch im Krimigenre ist er etabliert, etwa mit Beiträgen zur Reihe Tatort, darunter Spur des Blutes und Das Ende der Nacht.
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