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1:20 STUNDE

#190 | Dreh’s Um – Ein Brückenschlag zwischen Film und Community-Arbeit

2. Oktober 2025

Der Weg in die Filmbranche ist selten geradlinig. Anders als in Berufen wie Medizin oder Jura gibt es keine festen Strukturen, die Absolventinnen durch Ausbildung und Praxis führen. Selbst nach einem Filmhochschulstudium stehen viele ohne klare Perspektive da. Für Quereinsteiger*innen oder Jugendliche aus nicht-akademischen Haushalten ist der Zugang noch schwieriger – und für viele bleibt schon ein Studium unerreichbar.

In der heutigen Folge sprechen wir mit unseren Gästen Sarah Noa Ngô Ngọc und Đức Ngô Ngọc über die Zugangsbedingungen zur Filmbranche – und darüber, wie sich diese verbessern und vor allem für weniger privilegierte Menschen öffnen lassen. Mit ihrem Projekt „Dreh’s Um“ haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, den Nachwuchs gezielt zu fördern. Denn der Einstieg in die Branche hängt nach wie vor stark von Privilegien ab, die gerade Menschen aus migrantischen Familien oder aus sozial schwächeren Kontexten häufig nicht mitbringen. Zudem fehlten lange Zeit diverse Vorbilder im Kino und Fernsehen. Während Đức in Deutschland mit einem deutlichen Mangel an Vielfalt in den Medien aufwuchs, erlebte Sarah Noa in Kanada und Äthiopien ein wesentlich breiteres Spektrum an Repräsentationen – im Kontrast zu ihren späteren Erfahrungen in Deutschland. Unter anderem aus dieser Perspektive entstand der Wunsch, neue Geschichten zu erzählen und der deutsch-vietnamesischen Community eine authentische Stimme zu geben – etwas, das bis vor Kurzem noch kaum existierte. Als Vorbild diente dabei das deutsch-türkische Kino, das seit den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren mit den Filmen von Fatih Akin eine neue Perspektive in das deutsche Kino brachte.

Vom Abschlussfilm zum Projekt

Die Wurzeln von Dreh’s Um liegen in Ducs Abschlussfilm Obst und Gemüse, der den Generationenkonflikt innerhalb einer deutsch-vietnamesischen Familie behandelt. Der Film brachte den sozialen Träger Ostkreuz City auf die Idee, gemeinsam einen Workshop für Jugendliche zu initiieren, die in sozialen Hilfsstrukturen begleitet werden. Aus diesem Pilotprojekt entwickelte sich schließlich die feste Struktur von Dreh’s Um – ein Projekt, das sich kontinuierlich weiterentwickelt.

Das Konzept setzt auf einen direkten Zugang zum Medium Film. Nach einführenden Workshopeinheiten, in denen die Jugendlichen erste Impulse erhalten, geht es an die Produktion eigener Filme. In zwei Teams von je fünf Personen entstehen dabei zwei Dokumentarfilme, die von der Ideenentwicklung über Drehbuch und Dreharbeiten bis hin zur Postproduktion begleitet werden. Unterschiedliche Altersgruppen lernen voneinander, unterstützt von Filmschaffenden und Sozialarbeiter*innen, die auch bei sensiblen Themen professionell zur Seite stehen. Dabei setzen sich die Jugendlichen mit Fragen auseinander, die auch erfahrene Regisseur*innen beschäftigen: Wie viel möchte ich von mir preisgeben? Erzähle ich meine eigene Geschichte – oder porträtiere ich andere?

Dokumentarfilm: Eine Brücke zur eigenen Identität

Die Wahl des Dokumentarfilms als Medium wurde dabei sehr bewusst getroffen. Er erlaubt einen realistischen Einstieg, bei dem keine umfangreiche Technik benötigt wird, sondern die Geschichte im Mittelpunkt steht. Gleichzeitig bietet dieses Medium die Möglichkeit, Identität, Herkunft und persönliche Erfahrungen sichtbar zu machen. Viele Jugendliche entdecken hier zum ersten Mal, dass der Dokumentarfilm eine eigenständige künstlerische Ausdrucksform ist. Dabei begeben sich die jungen Filmschaffende auf eine Reise der Selbsterkenntnis und der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, die nicht von außen vorgegeben wird.

Festivalerfolge und neue Wege

Die Resonanz auf die Filme ist beachtlich. Produktionen von Dreh’s Um liefen bereits auf renommierten Festivals wie dem Dok.Fest München, dem FISH Festival oder dem Viet Film Festival in Los Angeles. Einer der Filme wurde im Filmbildungsprogramm von DocEducation im Rahmen des Don Fest München aufgenommen – inklusive pädagogischem Begleitmaterial. So fließen die Geschichten der Jugendlichen in die Filmbildung zurück und eröffnen neue kreative Kreisläufe. Aktuell ist zudem der Film „Zu Hause ist dort, wo die Sternfrüchte sauer sind“ für den First Steps Award nominiert. Zudem arbeiten viele ehemalige Teilnehmende heute im Medienbereich, zwei von ihnen schafften den Sprung an staatliche Filmhochschulen. Darüber hinaus bietet Dreh’s Um inzwischen auch Beratungsangebote an, die angehende Studierende bei komplexen Einreichungen unterstützen.

Mehr als ein Ausbildungsprojekt

Dreh’s Um ist heute weit mehr als nur ein Workshop-Format: Es ist ein Safe Space, ein Ort des Empowerments und eine Schnittstelle zwischen Community-Arbeit und der professionellen Filmbranche. Das Projekt macht deutlich, dass Diversität und filmische Ausbildung nicht nur vereinbar sind, sondern sich gegenseitig bereichern – und dass neue Stimmen im Kino unverzichtbar sind. Mittlerweile findet Dreh’s Um auch in anderen Städten statt und könnte bald in weiteren migrantischen Communities umgesetzt werden – von Menschen, die selbst Teil davon sind. Die Reise hat gerade erst begonnen, doch schon jetzt verspricht sie, die Filmkultur in Deutschland nachhaltig zu prägen.

Alle Filme von Dreh’s Um könnt ihr hier streamen – Viel Spaß!

Gäste

Đức Ngô Ngọc | Regisseur, Autor und Produzent | LINK

Der vietdeutsche Regisseur, Autor und Produzent Đức Ngô Ngọc wurde in Hanoi geboren und zog später als Sohn von DDR-Vertragsarbeiter*innen nach Berlin In preisgekrönten Filmen wie Obst & Gemüse, Farewell Halong und Trading Happiness verarbeitet er seine persönlichen Migrationserfahrungen und stellt seine Sicht auf das Thema dar. 

Ngô Ngọc absolvierte seinen Bachelor in Mediengestaltung/Medienkunst an der Bauhaus-Universität Weimar. Im Rahmen seines Masterstudiums der Filmregie an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF studierte er ein Semester an der Hanoi Academy of Theatre and Cinema.

Seine Leidenschaft für den Dokumentarfilm prägt auch seine Herangehensweise am fiktionalen Set. Er arbeitet gerne mit Laienschauspielern und liebt es, mit hybriden Formaten zu spielen, vor allem bei der Entwicklung von Drehbüchern und Proben mit Schauspielern. Ngô Ngọc ist besonders daran interessiert, komödiantische Elemente mit tragischen Tönen zu vermischen, um ein großes Publikum zu erreichen. Neben dem Kino arbeitete er daher an Grimme-Preis-nominierten Serien wie Wir und Echt in den Jahren 2021 und 2022. Kürzlich schrieb und inszenierte er eine Folge der sechsteiligen Serie Made in Germany, die die Geschichten einer Gruppe von Freunden erzählt, die in Berlin in der zweiten Generation aufgewachsen sind. Gemeinsam stehen sie vor der Herausforderung, ihre Rolle in der Gesellschaft zu finden, individuelle Ziele zu verfolgen, über ihre Identität nachzudenken und sich den tiefgreifenden Fragen des Lebens zu stellen.

Sarah Noa Ngô Ngọc | Autorin, Regisseurin und Produzentin | LINK

Autorin, Regisseurin und Produzentin Sarah Noa Ngô Ngọc (geb. Bozenhardt) wurde in Freiburg geboren und wuchs als Third Culture Kid in Addis Abeba auf – eine Erfahrung, die ihre Haltung und Perspektive als Filmemacherin nachhaltig prägt. Ihre preisgekrönten Filme Medanit und among us women erkunden soziopolitische Aspekte der Weiblichkeit und betonen feministische Perspektiven sowie kollaboratives Storytelling. Ihre besondere Herangehensweise als Autorin und Regisseurin wurde unter anderem auch durch die Auswahl zur Face to Face Kampagne von German Films 2022 geehrt und international sichtbar.
Mit einem Bachelorabschluss der Emily Carr University of Art + Design und einem Masterabschluss der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF vereint sie Ausbildungserfahrungen aus Nordamerika und Europa. Sarah Noa begibt sich immer wieder neugierig in neue Themenfelder und erweitert ihr filmisches Know-How z.B. durch Expertise in Design Thinking (Hasso Plattner Institut, 2023-2024) und das renommierte Post-Graduierten Studium Nachhaltige Internationale Zusammenarbeit der Humboldt Universität zu Berlin (2025). Diese unterschiedlichen Blickwinkel sind für Sarah Noa eng miteinander verwoben und prägen ihre Herangehensweise in der Filmproduktion.

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