Filmkritiker*innen sprechen oft in blumigen Umschreibungen über einen gelungenen Schnitt. Sätze wie „So nahtlos, dass man den Schnitt kaum bemerkt – wahre Meisterschaft“ oder „Der rhythmische Schnitt verleiht dem Film eine fast musikalische Qualität“ klingen beeindruckend, dennoch stellt sich die Frage: Anhand welcher Kriterien lässt sich der Filmschnitt wirklich objektiv bewerten? Wie unterscheidet man einen guten von einem schlechten Schnitt? Und kann man sehen, wie viel Zeit im Schnittraum investiert wurde?
Mit diesen Fragen beschäftigen sich Jan Pusch und Rainer Nigrelli in der aktuellen Folge von „Indiefilmtalk“. Die beiden Editoren betreiben seit 2020 den Podcast „Credit to the Edit“, in dem sie regelmäßig mit Kolleg*innen über die Arbeit im Schnittraum sprechen und die Vielseitigkeit dieses Berufs offenlegen.
Was macht einen guten Schnitt aus?
Jan und Rainer sind sich einig: Die Beurteilung eines Filmschnitts bleibt oft an der Oberfläche. Das Publikum sieht nur das fertige Produkt, nicht jedoch das Rohmaterial, mit dem die Editoren arbeiten mussten. Ein wirklich guter Schnitt fällt häufig gar nicht auf – er fügt sich so nahtlos in die Erzählung ein, dass er nicht aktiv wahrgenommen wird. Diese Unsichtbarkeit ist zugleich das größte Lob für einen Editor. Die eigentliche Kunst des Filmschnitts besteht darin, aus möglicherweise herausforderndem Material einen funktionierenden Film zu erschaffen, indem Fehler und Schwächen so geschickt kaschiert werden, dass sie dem Publikum verborgen bleiben. Das macht den Schnitt jedoch auch schwer greifbar und umso schwerer zu bewerten.
Unterschiedliche Formate, unterschiedliche Ansprüche
Der Arbeitsprozess im Schnittraum hängt stark vom Format ab, das produziert wird. Der Schnitt eines Kinofilms unterscheidet sich deutlich von der Arbeit im tagesaktuellen Journalismus, wo Zeitdruck und inhaltliche Präzision dominieren. Auch zwischen Serien und Filmen gibt es große Unterschiede: Bei Serienprojekten fehlt oft zu Beginn eine klare Vision, was genau erzählt werden soll – vieles entscheidet sich erst im Schnitt. Im Gegensatz dazu liegt bei Kinofilmen die Vision meist schon zu Beginn fest. Diese klare Richtung beeinflusst den Schnittprozess enorm und stellt die Schnitt Person vor unterschiedliche Herausforderungen.
Der Zeitfaktor im Schnitt
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Zeit. Während ein Kinofilm in der Regel mindestens vier Monate Schnittzeit erhält, sieht es bei Fernsehproduktionen, besonders im Bereich der deutschen Vorabendserien, ganz anders aus. Hier wird oft unter immensem Zeitdruck gearbeitet, was sich auch auf die Qualität des Schnitts auswirken kann. Es bleibt kaum Zeit mehr als nur ein verfilmtes Drehbuch zu produzieren. Witz und künstlerisches Feintuning ist in der kurzen Zeit nicht möglich. Mit dem Aufstieg von Streaming-Diensten wie Netflix hat sich dies in gewisser Weise geändert: Produktionen für diese Plattformen erhalten oft die doppelte oder sogar dreifache Zeit im Vergleich zu traditionellen Fernsehserien. Diese zusätzlichen Ressourcen spiegeln sich auch in der handwerklichen Qualität wider.
Die Zusammenarbeit im Schnittraum
Aber was ist letztendlich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Schnittraum wichtig? Unerlässlich ist die Professionalität. Kritik sollte nie persönlich genommen werden und die Fähigkeit, eine Schnittentscheidung zu begründen ist sehr wichtig für den Austausch über das Arbeitsergebnis. Wenn Regie und Schnitt auf einer Wellenlänge liegen und beide für das Projekt brennen, führt dies meist zu den besten Ergebnissen. Eine respektvolle, offene Kommunikation hilft dabei, selbst bei kreativen Meinungsverschiedenheiten das Beste aus dem Material herauszuholen.
Der Schnitt erzählt die Geschichte
Der Filmschnitt ist eine unsichtbare Kunst – oft unbemerkt, aber stets entscheidend für das Gesamterlebnis eines Films. Es geht im Schnitt nicht nur um das bloße Aneinanderfügen von Szenen. Es geht darum, eine Geschichte zu erzählen, Emotionen zu transportieren und das Beste aus dem vorhandenen Material zu machen. Am Ende entscheidet nicht der Zeitdruck oder die technischen Mittel, sondern die kreative Vision und die Zusammenarbeit im Team. Das macht den Filmschnitt zu einer der spannendsten und gleichzeitig schwierigsten Disziplinen im Filmbereich – ein Bereich, der immer noch viel zu oft unterschätzt wird.
Credit to the edit
In unserer heutigen Folge dreht sich alles um die Arbeit im Schnittraum. Mit unseren Gästen Jan Hendrik Pusch und Rainer Nigrelli reden wir über die Arbeit als Editor und über den Prozess vom Rohmaterial zum fertigen Kinofilm oder Serie. Zusätzlich werfen wir einen Blick auf die Do’s und Dont’s bei der Zusammenarbeit zwischen Regie/Produktion und Editor*in und fragen uns ob man einen guten Schnitt überhaupt bewerten kann? – Jan und Reiner haben neben ihrer Arbeit als Editoren einen spannenden Podcast explizit für den Filmschnitt. Mehr Infos dazu findet ihr auf der Webseite, oder überall wo es Podcasts gibt – LINK
Gäste
Rainer Nigrelli | Filmeditor
Rainer Nigrelli arbeitet als freier Filmeditor für Filme (“Buba”/Netflix oder “Führer und Verführer“) und Serien (“Pauline”/Disney+). Für die Netflix-Serie “How to Sell Drugs Online (Fast)” und “King of Stonks” wurde er jeweils beim Deutschen Fernsehpreis für den besten “Schnitt Fiktion” ausgezeichnet. Seine letzte Montagearbeit, der Kinofilm “Edge of Night”, feierte gerade seine Premiere auf den Filmfestspielen in Venedig.
CrewUnited – LINK
Jan Henrik Pusch | Filmeditor
Jan Henrik Pusch arbeitet nach seinem Studium “Editing Bild und Ton” an der ifs in Köln als Filmeditor an fiktionalen Filmen und Serien für Fernsehen und Kino. Unter anderem zeichnet er für den Schnitt der Serie “Phoenixsee“ , den Fernsehfilm „Louis van Beethoven“ und dem Kinofilm „Vielmachglas“ verantwortlich. Sein aktuelles Kinoprojekt “John Cranko” wird 2024 in die Kinos kommen.
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