Demokratisch, selbstbewusst, innovativ: Die Festivallandschaft in Deutschland
Filmfestivals sind neben Glamour und Sternchen mehr als nur eine Bühne für die bekannten Schauspieler*innen, die wir auf der Leinwand mit ihrer Darbietung bewundern dürfen. Es ist ein Ort, an dem Filmschaffende zusammenkommen, sich austauschen, vernetzen, wachsen. Es ist ein Ort für Zuschauer*innen aller Fasson. Ein Ort der Begegnung, des Meinungsaustauschs. Ein Ort, an dem Demokratie gelebt werden kann, wenn grundlegende Bedingungen erfüllt sind. Dazu gehört ein großes Maß an Gestaltungsfreiheit der Festival*macherinnen, frei von politischem und ökonomischem Interesse. Doch um dies gekonnt und fair umzusetzen, braucht es nicht nur innovative Ideen, gut kuratierte Filme, sondern eben in erster Linie genug Geld. Nicht zuletzt in der Corona-Krise sahen sich viele Festivals gezwungen, nicht stattzufinden oder nur unter schweren Bedingungen mehrgleisig zu fahren, um irgendwie ein Festival in irgendeiner Form präsentieren zu können. Wie finden Festivals in Zeiten von Krisen und Krieg statt? Welche gesellschaftsrelevante Aufgabe erfüllen sie? Inwiefern tragen Festivals gerade in herausfordernden Zeiten zum demokratischen Diskurs bei?
Corona: Vorreiter und Impulsgeber*innen
Eine analoge Veranstaltung von heute auf morgen komplett zu digitalisieren. Diesen Weg sind viele Festivals in Zeiten der Pandemie gegangen. Die Devise: “Alles online – sofort!”, wie beispielsweise die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Das Ergebnis? Zum einen konnten Festivals stattfinden, wenn auch “nur” oder “spannender Weise” im digitalen Raum. Zum anderen war es einigen Festivals dadurch möglich, über ihre regionalen Grenzen an Bekanntheit zu erlangen. Einige Festivals vergrößerten ihre Zuschauerzahl. Doch nicht für alle war der Weg ins “YouTube-Studio” ein Gewinn. Viele büßten dennoch Besucher*innenzahlen ein oder fanden auch im Digitalen nicht statt. Je nachdem, welche Online-Strategie gewählt wurde, von “alles wird über YouTube gestreamt” bis über “Filme werden in der hauseigenen Mediathek hinter einer Paywall gezeigt” gab es diverse Facetten der Online-Ausgaben. So gab es Festivals, die zusätzlich produzierte Talks anboten, partizipative Branchen-Events via Wonder.me oder Zoom-Meetings, in denen die Publikumsgespräche stattfanden. Gerade das Filmfestival Max Ophüls Preis zeigt hier einen klaren Willen, nämlich die Krise als Chance zu sehen, um neue Räume zu kreieren, in denen trotz oder gerade wegen der Pandemie ein Austausch in Krisenzeiten stattfinden kann und muss.
Haltung zeigen: Kriege, Filme, Diskussionen
Adäquat auf einen aktuellen Krieg reagieren. Wie geht das? Wer bekommt die Aufmerksamkeit, das Spotlight, die Empathie? Und wer wird ausgeschlossen? Welche Rolle nehmen Festivals in dieser Debatte ein? Im Russisch-Ukrainischem Krieg zeigt sich die Festivallandschaft solidarisch gegenüber der Ukraine und verhalten gegenüber den russischen Filmemacher*innen. So werden die russischen Filme nicht gefeiert, sondern großzügig aus den Programmen gestrichen. Das Wort Boykott steht im Raum. Aber sollte nicht der Dialog im Vordergrund stehen, gerade in schwierigen Zeiten. Wenn wir Festivals als einen wichtigen Ort der Demokratiebildung anerkennen, bleibt die Frage, ob und wie sich Festivalmacher*innen aktuellen Themen widmen. Nur weil etwas noch zu heiß diskutiert wird, ist es dann sinnvoll “die Sache auszusetzen”? Haltung zu zeigen, indem “es” oder “die” aus dem Festivalraum ausgeschlossen werden? Oder kann es nicht auch ein Weg sein, den pinken Elefanten im Raum anzusprechen? Den Gesprächsraum zu öffnen, um sich mit dem Publikum und den Filmemacher*innen genau über diese Themen zu unterhalten, auch wenn mal hitziger diskutiert wird. Denn wenn wir den vermeintlichen Aggressor aus der Debatte ausschließen und wir uns nur der davon betroffenen Seite widmen, welche Perspektive blenden wir dann aus? Vielleicht brauchen wir mehr Mut zur Ungemütlichkeit, um ein kritisches Denken überhaupt erst zu ermöglichen.
Kritische Entwicklungen: Anklingende Demokratiefeindlichkeit
Die Filmfestivals sind nicht frei von kritischen Entwicklungen, sogar demokratiefeindlichen Entwicklungen. Konkrete rechte Tendenzen gibt es aktuell bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig durch Giorgia Meloni und ihr Kabinett. Und sobald die AFD in Deutschland verstärkt politische Einflussnahme im Kultursektor bekommt, ist es eine Frage der Zeit, wie schnell Festivals von heute auf morgen wegsterben, weil die Förderung entzogen und die Grundlage, um zu bestehen, genommen wird.
Um weiterhin zu bestehen, um Festivalräume weiterhin frei gestalten zu können, demokratisch, vielfältig, fair, politisch und ökonomisch unabhängig, müssen wir uns als Filmkultur zusammenschließen. Es braucht das aktive Miteinander aller: Kinobetreiber*innen, Festivalmacher*innen und Filmschaffende – jetzt!
In der heutigen Folge, welche in Kooperation mit shortfilm.de, dem Kurzfilm Magazin der AG Kurzfilm entstanden ist, sprechen wir mit Joachim Kurz über Festivals ins Zeiten von Krisen und Krieg.
shortfilm.de
Unser Partner dieser Folge ist shortfilm.de, das Kurzfilm-Magazin der AG-Kurzfilm bietet euch aktuelle Informationen & Hintergründe rund um die kurze Form. .
Shortfilm.de – LINK
AG-Kurzfilm – LINK
Unser Gast
Joachim Kurz
Festivalkurator & – macher | Gründer, Herausgeber & Chefredakteur Kino-Zeit | Juryvorsitzender bei der Filmbewertungstelle Wiesbaden (FBW) | Autor u.a. “Filmfestivals. Krisen Chancen Perspektiven” zusammen mit Tanja C. Krainhöfer
Weiterführende Links
“Boykott russischer Filme”, Christian Berndt aus Deutschlandfunk Kultur (12.03.2022) – https://www.deutschlandfunkkultur.de/russische-filme-boykott-filmfestivals-100.html
“Claudi Roth: Wenn systematische Anfragen der AFD zur Selbstzenzur führen, ist das brandgefährlich”, Lisa Berins aus Frankfurther Allgemeine Zeitung (18.07.2023) – https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/brandgefaehrlich-claudia-roth-wenn-systematische-anfragen-der-afd-zu-selbstzensur-fuehren-ist-das-92402602.html
DOK.fest München – https://www.dokfest-muenchen.de/
Filmfestival Max Ophüls Preis – https://ffmop.de/
“GoeEast Filmfestival verzichtet größtenteils auf russiche Filme”, Andrea Bohnhagen aus: Hessenschau (13.04.2022) – https://www.hessenschau.de/kultur/wiesbadener-goeast-filmfestival-verzichtet-groessenteils-auf-russische-filme-,goeast-boykott-russland-100.html
Internationale Kurzfilmtage Oberhausen – https://www.kurzfilmtage.de/de/
Sinema Transtopia – https://sinematranstopia.com/de
unthaitled Filmfestival- https://sinematranstopia.com/de/cooperations/unthaitled-x-kaum-filmfestival-2023-wandering-salon“Venedig Filmfestival Das Kino gegen die rechte Politik”, Abdreas Busche aus: Tagesspiegel (08.09.2023) – https://www.tagesspiegel.de/kultur/venedig-filmfestival-7-das-kino-gegen-die-rechte-politik-10438894.html
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