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1:18 STUNDE

#186 | Hidden Jams & Guilty Pleasure Filme

24. Juli 2025

Es ist wieder Zeit für unsere lockere und unterhaltsame Sommerfolge – und passend zum durchwachsenen Wetter in diesem Jahr sprechen wir über die Höhen und Tiefen der Filmgeschichte. Die „Hidden Gems“ stehen für jene Filmperlen, die viel zu selten gesehen wurden, aber eine bleibende Wirkung hinterlassen. „Guilty Pleasures“ hingegen sind Werke, von denen wir nur ungern zugeben, wie sehr wir sie lieben – obwohl (oder gerade weil) sie kitschig, überdreht oder erzählerisch fragwürdig sind.

Die vielseitige Filmauswahl, die wir mit Tiefgang und Humor diskutieren, stammt von unseren Gästen Lisa Nawrocki und Daniel Hettinger sowie den Moderator*innen Yugen Yah und Maria Ortese.

Die Hidden Gems – zwischen Lebensfreude und Abgrund

Zwei der vier ausgewählten Hidden Gems sind Dokumentarfilme, die auf sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen eindrucksvolle Weise Welten eröffnen, die den meisten verborgen bleiben.

Vika (2023) begleitet Regisseurin Agnieszka Zwiefka die 84-jährige Warschauerin Vika, die sich nach dem Tod ihres Mannes ein zweites Leben als DJane in der queeren Clubszene aufbaut. Es handelt sich um einen lebensfrohen, visuell expressiv und musikalisch mitreißenden Film, der es nicht verpasst auch die ruhigen Momente für sich wirken zu lassen. Er erzählt, wie sich Menschen neu erfinden können und dabei Brücken zwischen Generationen, Geschlechtern und Lebenswelten schlagen. Ein Film, der Mut macht.

Ganz anders, aber ebenso eindrücklich ist Das Kongo Tribunal (2017) von Milo Rau. Der Film führt uns mitten in eine Realität, die nur schwer auszuhalten ist: den jahrzehntelangen Bürgerkrieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo – und dessen wirtschaftliche Verflechtungen mit westlichen Konzernen und politischem Desinteresse. In einem inszenierten Tribunal kommen die tatsächlichen Betroffene, Täter und internationale Verantwortliche zu Wort. Die Kunst schafft hier Realität – denn das Tribunal selbst hatte reale juristische und mediale Auswirkungen. Der Prozess bildet hier den Rahmen, in dem  eine vielschichtige und komplexe Realität dargestellt und juristisch untersucht wird. Es ist ein scharfer und gnadenloser Blick auf globale Ungleichheit – und der dringende Aufruf, nicht wegzusehen.

Beide Dokumentarfilme sind weit mehr als Beobachtungen: Sie schaffen Bewusstsein, regen zur Diskussion an und zeigen die Kraft des Films als Werkzeug gesellschaftlicher Reflexion. Genau das macht sie zu Hidden Gems.

Von Arthouse-Fantasy bis zur Mediensatire

Auch im fiktionalen Bereich gibt es Überraschungen. The Green Knight (2021) von David Lowery ist ein ästhetisch überwältigender Mix aus Fantasy und Arthouse. Der Film erzählt die Geschichte des jungen Gawain, der sich auf eine Reise begibt, um sich selbst zu beweisen. Doch statt auf bekannte Muster einer Heldenreise zu setzen, wirft The Green Knight Fragen nach Mut, Ehre und Selbstbild auf – langsam, atmosphärisch und voller Symbole. Wer sich auf die filmische Sprache einlässt, wird belohnt – insbesondere dann, wenn man sich mit der zugrundeliegenden Artussage vertraut macht.

 The Green Knight (2021)

Und dann wäre da noch ein echter Klassiker, der trotz seiner Entstehungszeit nichts an Schärfe eingebüßt hat: Das Millionenspiel (1970), ein deutscher Fernsehfilm unter der Regie von Tom Toelle, nach einem Drehbuch von Wolfgang Menge. Der Film spielt in einer dystopischen Fernsehrealität, in der ein Kandidat vor laufender Kamera von professionellen Jägern gehetzt wird – mit dem Versprechen auf ein hohes Preisgeld, sollte er überleben. Die Sendung inszeniert Gewalt als Unterhaltung – und zeigt dabei eine beunruhigend realistische Vision der Medienwelt. Bereits 1970 löste der Film Verwirrung aus: Viele Zuschauer hielten ihn für echt und bewarben sich freiwillig als Kandidaten oder Jäger. Über Jahrzehnte war der Film wegen rechtlicher Streitigkeiten nicht verfügbar – inzwischen ist er wieder online zu sehen und wirkt heute aktueller denn je: Als Vorläufer von Formaten wie The Running Man, Squid Game oder Battle Royale verhandelt Das Millionenspiel mediale Verantwortung, gesellschaftliche Abstumpfung und die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Ein echtes Pionierwerk – und zu Unrecht fast vergessen.

Guilty Pleasures – nostalgisch, überdreht, geliebt

Natürlich geht es in dieser Folge nicht nur um Tiefgang. Bei den Guilty Pleasures sprechen wir über Filme, die uns berühren, obwohl sie erzählerisch überzogen, stilistisch veraltet oder einfach absurd sind – und genau deshalb einen besonderen Platz im Herzen haben.

Dirty Dancing, Twisted Pair, Repo Men, Pretty Woman – sie alle sind Teil dieses Gesprächs. Und sie zeigen: Freude am Film ist etwas Persönliches, Emotionales – und muss nicht immer qualitativ hochwertig sein. Zugleich diskutieren wir, was einen „Guilty Pleasure“ eigentlich ausmacht – und ob man sich für seinen Geschmack überhaupt schämen sollte. Vielleicht ist das Schuldgefühl gar nicht notwendig, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Erwartungen.

Dennoch gilt: Filme sollten im besten Fall nicht nur konsumiert, sondern auch kritisch hinterfragt werden. Das zeigt sich besonders bei Werken wie The Help, Green Book, Ziemlich beste Freunde oder Hidden Figures. Sie wollen auf den ersten Blick Vorurteile abbauen – reproduzieren dabei aber oft die problematische White Savior-Trope. Statt Selbstermächtigung marginalisierter Gruppen steht am Ende häufig die Erzählung einer weißen Retterfigur im Zentrum – eine Perspektive, die strukturelle Ungleichheit eher verschleiert als sichtbar macht.

Vorgeschlagene Filme: 

Vorgeschlagene Filme von Lisa Nawrocki:
Vika (2023) R: Agnieszka Zwiefka | Dirty Dancing (1987) R: Emile Ardolino

Vorgeschlagene Filme von Daniel Hettinger:
The Green Knight (2021) R: David Lowery | Twisted Pair (2018) R: Neil Breen

Vorgeschlagene Filme von Yugen Yah:
Das Millionenspiel (1970) R: Tom Toell | Repo Men (2010) R: Miguel Sapochnik

Vorgeschlagene Filme von Maria Ortese:
Das Kongo Tribunal (2017) R: Milo Rau | Pretty Woman (1990) R: Garry Marshall

Gäste

Lisa Nawrocki leitet das Büro der UNESCO Creative City of Film in Potsdam und ist zudem für die Berliner Produktionsfirma Bandenfilm tätig, unter anderem als Impact Producerin. In der Folge erklärt sie, wie die UNESCO – gegründet 1945 – als internationale Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation den weltweiten Austausch und Frieden fördert. Das 2004 ins Leben gerufene Creative Cities Network umfasst acht Kreativbereiche, darunter auch Film. Potsdam wurde 2019 offiziell als Exzellenzzentrum in diesem Bereich anerkannt und engagiert sich seither aktiv für die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen.
Als Impact Producerin arbeitet Lisa an der Schnittstelle von Film und gesellschaftlichem Wandel: Sie versteht Film als Instrument für politische und soziale Wirkung und kooperiert dabei gezielt mit NGOs, um langfristige Veränderungen anzustoßen.

Daniel Hettinger ist Comedy-Autor und entwickelt hauptsächlich Programme für Influencer, die auf Social Media aktiv sind. Mit seiner eigenen Firma übernimmt er nicht nur das kreative Konzept, sondern auch das komplette Management – von der Akquise über das Booking bis hin zur Tourbegleitung. Seit Ende 2022 leitet er den gesamten Kreativbereich seines Unternehmens, das mittlerweile von vier auf zehn Mitarbeitende gewachsen ist.

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#110 Roundtable | Guilty Pleasure Filme & Serien

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